Ölpreiskollaps, Verkehr & Klima – Daten und Strategien für den Klimagipfel in Paris
Aus der Zusammenfassung:
A. Energiemärkte und Verkehr weltweit
1. Wenige Wochen vor dem Klimagipfel in Paris (COP21) und nach einem Vierteljahrhundert globaler Klimaschutzpolitik ist ein Blick auf die globalen Energiemärkte ernüchternd. Bis zum Jahr 2040 wird ein weiterer Anstieg der Energienachfrage um knapp ein Drittel erwartet. Die Zusicherungen der Einzelstaaten für Paris (INDC) werden nicht einmal ausreichen, den Anstieg der globalen CO2-Emissionen in den kommenden Jahrzehnten zu stoppen.
Das gilt insbesondere für den Verkehr. Die Emissionen in diesem Sektor wachsen umgebremst weiter, nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland. Technologisch sind fossile Verbrennungsmotoren in einer Sackgasse, so dass grundsätzlich neue Konzepte notwendig werden.
2. Der Umbau der Energieversorgung wird in diesem Jahrzehnt durch das Überangebot an fossilen Energierohstoffen zusätzlich erschwert. Die Preise für Öl, Gas und Kohle liegen hartnäckig auf dem niedrigsten Stand seit einem Jahrzehnt.
3. Allerdings reagiert der Ölmarkt: Die Investitionen fallen in diesem Jahr um 20%, in den USA sogar um 35%. Die Schieferölproduktion in den USA schrumpft bereits. Die Preisrisiken sind noch gering, aber nicht von der Hand zu weisen: Die Exportoffensive Saudi-Arabiens zehrte einen großen Teil der freien Produktionskapazitäten auf. Wichtige Förderländer rutschen im Moment in eine ökonomische, politische oder gar militärische Krise.
4. Ein weiterer Faktor, der das Überangebot an Öl aufzehrt, ist die unerwartet rasch wachsende Ölnachfrage. Sie wird im Jahr 2015 mit +1,8 mb/d voraussichtlich doppelt so schnell wie üblich wachsen. Gegen den langjährigen Trend wächst der Ölverbrauch jetzt auch wieder in den Industrieländern, vor allem wegen der steigenden Kraftstoffnachfrage.
5. Im Mittelpunkt des aktuellen Nachfragebooms steht der Verkehr. Sein Energieverbrauch stieg seit 1990 weltweit um 44%, in der EU um 15%. Der Verkehr ist heute nach dem Stromsektor der zweitgrößte Verursacher von CO2-Emissionen und für 23% der globalen Emissionen verantwortlich. Drei Viertel davon entstehen im Straßenverkehr.
6. Die Prognosen deuten auf einen weiter wachsenden Ölverbrauch und mehr CO2-Emissionen im Verkehrssektor. Der Verbrauch dürfte von heute 49,5 mb/d (Millionen Fass Öl pro Tag) auf 60,4 mb/d im Jahr 2040 klettern. Allein der Zuwachs entspricht der gesamten Ölproduktion Saudi-Arabiens.
Die fossilen Kraftstoffe im Verkehr erzeugen dann CO2-Emissionen im Umfang von 8,9 Gt. Im Moment sind es 7,3 Gt. In den 1970er Jahren waren es nur etwa 4 Gt.
7. Die Zahl der PKW und leichten Nutzfahrzeuge wird sich bis 2040 von derzeit 1,1 Milliarden auf 2,2 Milliarden Fahrzeuge verdoppeln, wenn nicht gegengesteuert wird. Fast die Hälfte des zusätzlichen Kraftstoffbedarfs der nächsten Jahrzehnte wird vom Straßengüterverkehr absorbiert, da hier weitaus geringere Effizienzgewinne möglich sind als beim PKW-Verkehr. Die Zahl schwerer LKW wird auf ca. 100 Mio. Fahrzeuge klettern, die Zahl der Nutzfahrzeuge insgesamt auf über 500 Millionen.
B. Verkehr in Deutschland
8. Die Situation ist auch in Deutschland alles andere als ermutigend. Die CO2-Emissionen des Verkehrs stiegen von 163 Mio.t. (1990) auf 164 Mio.t. (2014). In diesem Jahr ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen.
Der Endenergieverbrauch des Verkehrs ist 2005-2014 um 1,7% gestiegen, im Straßenverkehr sogar um +2,3%, und nicht wie geplant durch Effizienzmaßnahmen gefallen. 2015 ist ein weiterer Zuwachs zu erwarten.
9. Der Ölverbrauch im deutschen Straßenverkehr nimmt ebenfalls zu. Seit 2007 kletterte der Kraftstoffverbrauch von 50,4 Mio. Tonnen (2007) auf 54,1 Mio. t (2014). Die Zahlen für 2015, die bislang nur bis August vorliegen, lassen für 2015 einen weiteren Anstieg auf 55,2 Mio.t vermuten. Trotz der immer schärferen Effizienzvorschriften und trotz der verkehrspolitischen Anstrengungen wurden 2015 ca. 10% mehr Kraftstoffe auf den Straßen verbrannt als 2007.
10. Die EU-Staaten wollen bis 2020 einen Anteil von 10% erneuerbarer Energien im Verkehr erreichen. Im Jahr 2014 konnte Deutschland jedoch lediglich 5,6% verzeichnen, 90% davon durch Biodiesel und Bioethanol. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Deutschland das EU-Ziel erreicht. Im globalen Vergleich ist die EU insgesamt dabei, verkehrspolitisch ins Mittelfeld abzurutschen und ihre Vorreiterrolle zu verspielen.
C. Fossile Verbrennungsmotoren in der Sackgasse – Neue Strategien nötig
11. Technisch befinden sich die Verbrennungsmotoren in einer Sackgasse. Praxisnahe Analysen zeigen, dass es seit 1990 nur geringe Verbesserungen beim Spritverbrauch des globalen Fahrzeugbestands gegeben hat, weder im PKW- noch im LKW-Sektor.
Zwar unterliegen mittlerweile drei Viertel des globalen PKW-Marktes immer schärferen Verbrauchsvorschriften. Aber nicht zuletzt die Präferenzen der Käufer für große, vergleichsweise ineffiziente Fahrzeuge unterminieren diese Anstrengungen. Der Verkehrssektor bleibt damit weit unter seinen Möglichkeiten, so dass regulative Eingriffe notwendig erscheinen, wenn die Umwelt- und Klimaziele erreicht werden sollen.
Hinzu kommt eine Informationspolitik der Fahrzeughersteller, die einen technischen Fortschritt suggeriert, der überhaupt nicht stattfindet: Offiziell sind die CO2-Emissionen neuer PKW wie vorgeschrieben in der EU gesunken: Von 170 g/km in 2001 auf 123 g/km in 2014. In der Praxis zeigt sich jedoch ein wachsender Abstand zwischen den Ergebnissen des Prüfstands und der realen Fahrpraxis. Die Differenz wuchs von 8% (2001) auf unfassbare 40% (2014). In der Praxis sind seit 2009 überhaupt keine Fortschritte mehr zu erkennen.
12. Auch ressourcenpolitische Aspekte sprechen gegen eine Fortsetzung des bisherigen Pfades. Wenn China, Indien und andere Schwellenländer weiterhin eine Motorisierung wie in den alten Industrieländern verfolgen, wird der Diesel- und Benzinkonsum einen Umfang erreichen, der produktionstechnisch von der Ölindustrie nicht mehr bewältigt werden kann.
13. Alternativen zu fossilem Öl setzen sich allein durch Marktkräfte, technische Innovationen oder neue Kundenpräferenzen nicht oder nur sehr langsam durch. Die bisherigen Trends legen den Schluss nahe, dass der Verkehr auch 2050 ganz überwiegend mit fossilem Diesel und Benzin angetrieben wird, wenn verkehrspolitisch nicht umgesteuert wird.
Der Absatz traditioneller Biokraftstoffe ist global auf einem Plateau, neue Biokraftstoffe (Advanced Biofuels) kommen kaum vom Fleck. Der Absatz von Erdgasfahrzeugen stockt angesichts der niedrigen Diesel- und Benzinpreise und bietet ohnehin nur begrenzte klimapolitische Vorteile.
14. Elektrofahrzeuge repräsentieren derzeit 0,08% des globalen Fahrzeugparks und können nur in vier Ländern mehr als 1% der Neuverkäufe stellen. Die verkehrspolitischen Folgen einer Elektromobilisierung sind zweischneidig: Sie bietet wegen der geringen variablen Kostenanteile Anreize zum motorisierten Individualverkehr und könnte einer Verkehrsverlagerung Richtung Bus/Schiene im Weg stehen.
Auch die Klimabilanz der Elektrofahrzeuge fällt gemischt aus, selbst in einem Land mit hohen Anteilen regenerativen Stroms. Bei einem Verbrauch von 7 l/100km emittiert ein PKW mit Benzinantrieb ca. 16 kg CO2. Beim aktuellen Strommix in Deutschland erzeugt ein Elektrofahrzeug etwa 13 kg CO2 auf 100 km. In Ländern mit höheren Anteilen von Kohle im Strommix (z.B. China) könnte die Klimabilanz sogar negativ ausfallen.
Um Elektrofahrzeuge zu einer attraktiven Alternative zu machen, muss das Angebot regenerativen Stroms also so schnell ausgebaut werden, dass für Elektrofahrzeuge Stromüberschüsse zur Verfügung stehen. Elektrofahrzeuge hätten zudem für das gesamte Stromsystem puffernde Eigenschaften, die einige Nachteile fluktuierender Stromerzeuger (Wind, Strom) auffangen könnten.
15. Lediglich über Effizienzgewinne bei PKW, LKW oder Flugzeugen lässt sich der Zuwachs der CO2-Emissionen dieses Sektors nicht aufhalten. Bisherige verkehrspolitische Ansätze verpuffen angesichts der steigenden globalen Mobilitätsnachfrage.
Alternativen wie Biokraftstoffe und Erdgas können nur eine unbefriedigende Zwischenlösung für eine Dekarbonisierung des Verkehrs sein, während Elektromobilität im Moment bislang kaum klimapolitische Vorteile bringt und erst sehr langfristig größere Marktanteile erringen kann, wenn man die Durchsetzung den Marktkräften überlässt.
Andererseits kann auch der Weg immer höherer Kraftstoffpreise nicht überzeugen. Angesichts der geringen Preiselastizität der Verkehrsnachfrage müsste ein Preisniveau angepeilt werden, das Automobilität zum Privileg der oberen Mittelschicht und Oberschicht werden lässt, während sich der Rest der Bevölkerung in überfüllte Busse und Bahnen drängen müsste.
16. Obwohl mehr Verlegenheitslösung als Königsweg bleibt nur die Option starker regulativer Eingriffe, wenn die klimapolitischen Ziele im Verkehr auch nur ansatzweise erreicht werden sollen.
Das gilt vor allem für die rasch wachsenden städtischen Räume in den Schwellen– und Entwicklungsländern. Hier müssen rasch die Weichen gegen eine Motorisierung nach westlichem Vorbild gestellt werden. Chinesische Metropolen bieten bereits Anschauungsmaterial mit einer Fülle von Maßnahmen.
In den alten Industrieländern sollte die Erkenntnis wachsen, dass sich der Verkehr heute in einer ähnlichen Situation wie der Stromsektor in den 90er Jahren befindet: Ohne entschiedene staatliche Fördermaßnahmen und regulative Eingriffe zum Nachteil fossiler Verbrennungsmotoren werden sich klima- und umweltschonende Trends im nationalen und im globalen Verkehr nicht durchsetzen.