Nach wie vor werden illegale Klimaemissionen in der Nordsee nur symbolisch geahndet. Die britische Neo Energy emittierte auf ihren Offshore-Anlagen mindestens 1200 Tonnen Methan über eine Gasfackelanlage, die nicht brannte, direkt in die Atmosphäre.
Die Fehlfunktion blieb 7 Monate (!) lang unentdeckt. Die Geldbuße der britischen Aufsichtsbehörde NSTA beträgt umgerechnet 116.000 Euro, meldet ArgusMedia. Das entspricht je nach Berechnungsmethode für Methan (GWP100/GWP20) einem Betrag von lediglich 1,2-3,6 Euro je Tonne CO2.
Deutschland steckt mitten in einem gaspolitischen Neuanfang. Jetzt werden die Weichen für die zukünftigen Gasimporte gestellt. Gleichzeitig wird immer deutlicher, in welchem Umfang die Methanemissionen der globalen Gasversorgung das Klima schädigen.
Die Studie verbindet beide Herausforderungen. Welche Länder können den wachsenden LNG-Bedarf Deutschlands decken? Und welche Lieferketten haben aus klimapolitischer Sicht das beste Profil?
Der Text liefert dafür auf 49 Seiten zahlreiche Hintergrundinformationen zum Thema Methanemissionen sowie zu möglichen Gaslieferregionen. Daraus ergeben sich konkrete Empfehlungen für die deutsche Gaspolitik.
Vor kurzem hat das UBA eine bislang wenig beachtete Studie über Vorketten-Methanemissionen der deutschen Erdgasimporte vorgelegt (5). Überraschendes Ergebnis: Sie scheint die Klimabelastung russischer Erdgasimporte massiv zu unterschätzen. Die Zahlen liegen um den Faktor 5-7 unter den Ergebnissen vergleichbarer internationaler Studien.
Zugegeben, angesichts der historisch hohen Gaspreise interessiert sich die Politik im Moment eher für die Menge als die Qualität der russischen Erdgasimporte. Dennoch sind die Methanemissionen der Importströme relevant: Für die CBAM-Politik (also CO2-Abgaben auf fossile Energieimporte) und für den anstehende Entwurf einer EU-Taxonomy (Kriterien für ein EU Green Label bzw. Red Label). Und nicht zuletzt auch für die Rolle, die Erdgas in den kommenden Jahren im Energiemix spielen soll.
Methan und Klimapolitik
Methanemissionen der Öl- und Gasindustrie verursachen enorme und weithin unterschätzte Klimaschäden. Etwa 80 Mio.Tonnen Methan entweichen laut IEA jährlich auf dem Weg vom Bohrloch bis zum Verbraucher (1). Das entspricht dem THG-Effekt von 6,4 Gt CO2, wenn man die Wirkung über einen Zeitraum von 20 Jahren betrachtet (Faktor 80). Zum Vergleich: Das entspricht in etwa den achtfachen CO2-Emissionen Deutschlands.
Die Unterschiede zwischen den Förderländern und Förderregionen sind allerdings enorm. Die Emissionswerte schwanken um den Faktor 100. Kein Wunder also, dass Deutschland und die EU die Auswahl ihrer Lieferketten optimieren wollen. Je nach Umfang der schon vor der EU-Grenze entstandene Emissionen sollen daher über CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism) und andere Instrumente bepreist werden. Das soll in den Exportstaaten entsprechende Anreize erzeugen, ihre Klimaschäden zu verringern.
Wie groß sind nun aber Methanemissionen in den Förderregionen? Vor allem Satellitendaten ermöglichen hier seit wenigen Jahren einen besseren Einblick und Überblick.
Die Methanemissionen in Russland
Besonders heftig umstritten sind die Methanemissionen der Öl- und Gasindustrie in Russland. Das ist für die deutsche Diskussion um die Rolle von Erdgas und Blauem Wasserstoff besonders interessant, da ca. 50% des hierzulande eingesetzten Erdgases aus Russland stammt.
Moskau selbst meldete zuletzt für das Jahr 2019 4 Mio.t Methan für den Öl- und Gassektor. Die meisten Studien kommen jedoch auf 2-3mal höhere Werte (2). Eine Studie des Environmental Defense Fund (EDF) und der Harvard University ermittelte ca. 8,3 Mio.t. Die IEA meldete zuletzt sogar 14 Mio.t (3).
Zur Einordnung: 14 Mio.t Methanemissionen bei einer Gesamtfördermenge Russlands von 638 bcm (462 Mio.t) entsprechen einem enormen Anteil von 3,0%. Das deckt sich in etwa mit den Zahlen der vieldiskutierten Studie von Howarth/Jacobson, die den globalen Durchschnitt auf 3,5% schätzen, dabei allerdings stark auf amerikanische Quellen zurückgreifen (6).
Dennoch besteht Gazprom darauf, dass die Emissionen “close to zero” sein und nur 0,34 Prozent des geförderten Methans ausmachen (4).
Nicht zuletzt große “Superemitter”-Events bei Lecks, Reparaturen oder anderen unregelmäßigen Ereignissen tragen jedoch zu den realistischeren hohen Werten bei. Die Auswertung der Daten der ESA-Satelliten durch den Dienstleister Kayrros entdeckte zahlreiche große Methanlecks entlang der Yamal-Pipeline und der Brotherhood/Druschba-Pipeline, die auch Deutschland versorgen.
Dauerhaft emittieren insbesondere die Kompressorstationen entlang der Pipelines große Mengen Methan. Gazprom betreibt 254 dieser Kraftwerke in seinem Pipelinenetz mit 3000 Gasturbinen.
Die aktuelle UBA-Studie (5)
Überraschend ist nun, dass eine aktuelle Auftragsstudie des Umweltbundesamtes zu ganz anderen Ergebnissen kommt. Sie verlässt sich weitgehend auf ältere Daten aus Berichten der Thinkstep AG, die sich ihrerseits ganz überwiegend auf Zahlen stützte, die damals von Gazprom und dem damaligen Nordstream-Konsortium bereitgestellt wurden. Thinkstep wurde im Jahr 2019 von Sphera, dem Auftraggeber der hier vorgestellten UBA-Studie, übernommen (7).
Die aktuelle UBA/Sphera-Studie kommt durch diese Quellenauswahl auf unrealistische Methanverlustraten für Russland von lediglich 0,44%, davon 0,049% im Upstream-Bereich (Förderung, Aufbereitung). Auch wird die Methanwirkung auf einen Zeitraum von 100 Jahren verteilt. Der THG-Faktor gegenüber CO2 (=1) sinkt dadurch auf 25.
Die Autoren räumen ein, dass Methanemissionen bei Wartungsarbeiten und bei Unfällen nicht berücksichtigt werden. Sie begründen das mit der schlechten Datenlage. Das Argument kann nicht so recht überzeugen, denn zum einen ist die Datenlage generell relativ schlecht, so dass sich so gesehen jede Aussage verbieten würde. Zum anderen ist der Anteil der Methanemissionen gerade bei der Wartung und bei Zwischenfällen ungewöhnlich hoch. Zumindest grobe Schätzungen sollten selbst anhand der Daten von Gazprom selbst möglich sein, da der Konzern auf satellitengestützte Entdeckungen hin und wieder reagiert reagieren musste. Weitere Hinweise ergeben sich aus den Auswertungen von Kayrros, die auf den ESA-Satellitendaten beruhen.
Im Anhang befindet sich eine Sensitivitätsanalyse, die mit abweichenden Ergebnissen aus Fachgesprächen begründet wird. Die Upstream-Emissionen werden hier von 0,049% auf 1,28% heraufgesetzt – also das 26fache. Auf eine Sensitivitätsanalyse der weitaus wichtigeren Emissionen während des Transports wurde jedoch verzichtet.
Quellen:
(1) IEA: Curtailing Methane Emissions from Fossil Fuel Operations – Pathways to a 75% cut by 2030
(5) Baumann, M., Schuller, O.: Emissionsfaktoren der Stromerzeugung – Betrachtung der Vorkettenemissionen von Erdgas und Steinkohl. Abschlussbericht (UBA Climate Change 61/2021), Dessau-Roßlau Sep. 2021.
(6) Howarth R.W., Jacobson M.Z.: How green is blue hydrogen? Energy Sci Eng. 2021;00:1–12, April 2021.
Die globale Öl- und Gasproduktion und der Transport der Energieträger bis zum Verbraucher sind mit hohen, extrem klimabelastenden Methanemissionen verbunden. Die Mengen wurden in den letzten Jahren immer weiter nach oben revidiert.
Das belastet auch die Klimabilanz von Blauem Wasserstoff. Deutsche oder europäische Wasserstoffproduzenten können nur begrenzt auf die Produktionsmethoden und die behördlichen Kontrollen in Exportstaaten wie Russland, Algerien oder den USA Einfluss nehmen.
Fast täglich entdecken Satelliten große Methanwolken, die bei der Öl- und Gasförderung weltweit ungehindert in die Atmosphäre entweichen. Vor wenigen Tagen wurde ein Methanleck von Ölfirmen nördlich von Basra im Irak aufgespürt. Dabei entwichen 130 Tonnen Methan pro Stunde in die Atmosphäre.
Legt man einen Wirkungszeitraum von 20 Jahren an (Faktor 87 CH4/CO2), entspricht das dem Treibhausgaseffekt von 271.000 Tonnen CO2 pro Tag. Zum Vergleich: Das entspricht etwa 13% der gesamten deutschen CO2-Emissionen. Oder anders formuliert: Acht dieser Lecks verursachen dieselben Klimaschäden wie ganz Deutschland.
Im August identifizierten die Geoanalytiker von Kayrros eine ganze Serie von Methanlecks etwa 500 km südlich von Algiers. Das größte Leck entließ geschätzt 121 Tonnen Methan pro Stunde – also eine ähnliche Größenordnung wie im Irak.
Algerien und Irak rangieren seit längerem auch in den IEA-Statistiken weit oben auf der Liste der Methansünder. Der Methane Tracker der IEA schätzt, dass mehr als 70 Mio. Tonnen Methan jedes Jahr bei der Öl- und Gasförderung in die Atmosphäre gelangen. Das entspricht einer CO2-Menge von 6,1 Gigatonnen.
Reuters berichtet nun über neue, noch genauere Satellitendaten, die flächendeckend Öl- und Gasregionen in den USA und Kanada absuchten. Geofinancial Analytics und Signal Climate Analytics erfassten hier weitaus höhere Methanemissionen der Öl- und Gaskonzerne als den Behörden gemeldet wurden.
Die größte absolute Klimabelastung ging dabei von Shell und Chevron aus, gefolgt von ConocoPhillips, Marathon Oil and ExxonMobil. Die größte spezifische Belastung wird jedoch von privaten, kleineren Öl- und Gasfirmen verursacht, die ohne Aktionäre und oftmals unter dem Radar der Medien arbeiten.
Besonders die Daten über Shell überraschten jedoch, da der Konzern ein ambitioniertes Methanemissionsziel verkündet hatte. In einer ersten Reaktion insistierte der Konzern, dass er diesen Richtwert einhält. Die Forscher führen einen Teil der Diskrepanz auf Emissionen aus stillgelegten Bohrlöchern zurück und eventuell auf zeitliche Probleme bei der Erfassung, da Shell einige Assets an kleinere Firmen verkauft hat.
Das Problem der “Abandoned Wells” bleibt jedoch bestehen: In den USA gibt es Hunderttausende stillgelegter Bohrlöcher, insbesondere in den Schiefergas- und Schieferölregionen. Erst allmählich wird die damit verbundene Klimabelastung deutlich.
Für die Klimabilanz des Blauen Wasserstoffs, der auf Erdgasimporte angewiesen ist, verheißt das nichts Gutes: Die genaue Erfassung der Upstream-Emissionen ist mühsam, wenn nicht sogar unmöglich, wenn z.B. am LNG-Exportterminal die Gasmengen aus unterschiedlichen Gasfeldern und ggf. noch aus Ölfeldern als Associated Gas vermischt werden. Eine verlässliche Klima-Zertifizierung wird wohl nur bei den wenigsten Upstream-Ketten gelingen. Nur bei norwegischen Gaslieferungen erscheinen die Probleme vergleichsweise übersichtlich.
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