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  • Ammoniak als Shipping Fuel – eine Übersicht

    Ammoniak als Shipping Fuel – eine Übersicht

    Welche Rolle kann Ammoniak als Low-Carbon Fuel in der Seeschifffahrt spielen? Das potenzielle Marktvolumen wäre enorm, aber die Unwägbarkeiten sind genauso groß. Es gibt eine ganze Reihe von Kandidaten, die fossile Fuels ersetzen wollen. Noch ist unklar, wer sich durchsetzen wird.

    Die Reeder stehen damit vor schwierigen Entscheidungen. Große Seeschiffe sind normalerweise 25-35 Jahre im Einsatz. Ein neues Schiff, das heute in Auftrag geht, wird erst 2027/28 in See stechen und dort auch noch im Jahr 2050 unterwegs sein. 

    Ammoniak ist ein Thema unseres neuen Langzeitprojekts Fuel.Tracker.2050. Es startet in diesem Monat und verfolgt den Ausstieg aus fossilem Öl in Deutschland, in der EU und weltweit mit Analysen, Recherchen und News.

    Ammoniak als Bunker Fuel?

    Warum überhaupt Ammoniak als Shipping Fuel? Im ersten Moment sollte man denken, dass der wichtigste Einsatzbereich von Grünem Ammoniak (PV/Wind-Strom plus Elektrolyse) oder Blauem Ammoniak (Erdgas + CCS) auf der Hand liegt: Die Dekarbonisierung der bisherigen Absatzmärkte, also Stickstoff-Dünger und Chemie. Dort werden jedes Jahr 185 Mio.t Ammoniak benötigt – eine Menge, die in dekarbonisierter Form wohl nicht einmal 2040 zur Verfügung stehen wird.

    Doch das ist zu kurz gedacht: Der begehrte Stoff wird dort eingesetzt, wo die größte Zahlungsbereitschaft vorhanden ist und wenig Alternativen zur Verfügung stehen, sprich: Wo die Hersteller von Grünem/Blauem Ammoniak die höchsten Profite erzielen können. 

    Das ist vor allem bei den Container-Reedereien und generell in der Seeschifffahrt der Fall. Immer mehr Transportkunden, vor allem von hochpreisigen Markenartikeln, verlangen emissionsarme Schiffe, um ihre eigene Klimabilanz zu verbessern.[Q1] Hinzu kommen steigende Anforderungen an die Schiffsemissionen durch einzelne Staaten oder Regionen, vor allem in der EU.

    CO2-Emissionen der Seeschiffe

    Im Moment stößt die globale Seeschifffahrt annähernd 900 Mio.t CO2 pro Jahr aus. Dabei werden ca. 320 Mio.t fossile Treibstoffe verbrannt. Die Emissionsmengen liegen sogar noch vor der Luftfahrt und entsprechen knapp 3% der fossilen CO2-Mengen. 

    Das soll sich jedoch ändern, vor allem in der EU. Die neue FuelEU Maritime Regulation schreibt einen Dekarbonisierungspfad vor, der mit einer Reduzierung um 80% bis 2050 endet. Bis 2034 sollen 2% der Shipping Fuels emissionsarme E-Fuels sein. Ihr Einsatz wird durch eine doppelte Anrechnung im Emissionshandelssystem der EU (ETS-1) schmackhaft gemacht. Die Seeschifffahrt muss seit diesem Jahr einen allmählich steigenden Anteil ihrer Emissionen im ETS finanzieren. Ab 2027 enden die freien Zuteilungen. Dann müssen die Reeder für jede Tonne CO2 Emissionszertifikate kaufen.  

    Die Seeschifffahrt reagiert bereits. Sie ist im Moment der erste weltweit aktive Branche, die einen globalen Ansatz zur Dekarbonisierung verfolgt. Bis 2050 sollen die Emissionen in der Nähe von Net-Zero sein, so die IMO (International Maritime Organization, die zuständige UN-Organisation. Um die Geschwindigkeit und die Wege zu einem „Net-Zero Framework“ wird im Moment gerungen. [Q2] 

    Eine weltweite Änderung der Shipping Fuels ist eine enorme Aufgaben. Weltweit gibt es etwa 100.000 größere Seeschiffe. Hinzu kommen 3-4 Mio. Fischerboote und Zehntausende von anderen Schiffstypen wie Fähren, Offshore-Versorgungsschiffe oder Kreuzfahrtschiffe. [Q3] 

    Übersichtlicher wird die Aufstellung, wenn man sich den Kraftstoffverbrauch ansieht. Ein Viertel der Gesamtmenge verbrauchen die Containerschiffe, ein weiteres Viertel entfällt auf Tanker (Öl, Gas, Chemikalien) und weitere 20% auf Schüttgutfrachter (Getreide, Kohle etc.).

    Fuels – Alt und Neu

    Bisher kommen fast ausschließlich fossile Brennstoffe in den Schiffsmotoren zum Einsatz. Das ist in unterschiedlichen Mischungen Schweröl (HFO – Heavy Fuel Oil) oder Schiffsdiesel (MGO).

    CCS On-Board?

    Am einfachsten wäre aus Sicht der Reeder natürlich die Dekarbonisierung des billigen Fuel Oils. Tatsächlich gibt es bereits über 30 Schiffe, die im Probebetrieb an Bord CO2 abscheiden, verflüssigen und zwischenlagern. Die CO2-Container werden dann im Hafen entsorgt. Die Abscheidungsraten sollen bei 70-85% liegen.[Q8][Q10] 

    Das Verfahren ist nicht billig, aber der Aufwand wird durch die Möglichkeit kompensiert, die vergleichsweise billigen und überall verfügbaren fossilen Treibstoffe weiter einsetzen zu können.

    Weit verbreitet ist übrigens bereits der Einsatz von Scrubbern, die Schadstoffe nach der Verbrennung von schwerem Schiffsdiesel abscheiden. Das gilt für Schwefel- und Stickstoffoxide sowie Feinstaubpartikel.

    Alternative Fuels

    Nur knapp 6% der Seeschiffe können bisher auch andere Kraftstoffe verwenden. Der Anteil der Schiffe mit Dual-Fuel-Antrieben, die Mineralölprodukte oder Alternativen verwenden können, wächst allerdings rasch an. 

    Schon heute zeigt das globale Orderbook, dass über die Hälfte aller Neubauten Dual-Fuel-Antriebe haben werden. Vermutlich werden ab 2030 sogar fast alle neuen Seeschiffe Dual-Fuel Motoren haben. [Q10] 

    1. Bisher ist LNG die wichtigste Alternative. LNG ist in vielen Häfen verfügbar und häufig sogar billiger als Schiffsdiesel. Zu den Anwendern gehören aus naheliegenden Gründen die LNG-Tanker, die LNG weltweit befördern, aber auch eine wachsende Zahl anderer Schiffe. LNG erzeugt vergleichsweise geringe Schadstoffemissionen, hat aber eine zweifelhafte Klimabilanz.[Q4] Das soll nach dem Willen der Gasbranche aber nicht so bleiben. Auch LNG könnte durch wachsende Beimischungen von E-Methane/Bio-LNG an Attraktivität gewinnen. 
    2. Daneben haben die diversen Biofuels als Beimischung gute Wachstumschancen in der Seeschifffahrt.
    3. Schließlich sollte man auch flüssigen Wasserstoff (LH2) noch nicht abschreiben. Länder wie Japan und Südkorea halten an diesem Technologiepfad weiter fest. Die Verflüssigung von Wasserstoff verschlingt zwar große Mengen an Energie, aber der Aufwand findet im Exportland statt, also z.B. in den USA, am Persischen Golf oder in Australien. Dort sind die Energiepreise im allgemeinen weitaus niedriger als im Importland, also Japan oder der EU. 
    4. Methanol (CH3OH) kam als Shipping Fuel zwar schneller aus den Startlöchern als Ammoniak, aber es wird schwer werden, große Mengen an Grünem Methanol herzustellen. Es benötigt neben dem Wasserstoff eine klimaneutrale Quelle für CO2, also z.B. geeignete Biomasse. Das CO2 wird dann bei der Verbrennung auf dem Schiff wieder freigesetzt. Nur wenige Standorte verfügen über Bedingungen, die gleichermaßen große Mengen CO2 aus Biomasse bereitstellen und für die Produktion von Grünem Wasserstoff attraktiv sind.
    5. Dieses Problem hat Ammoniak nicht. Wie die Summenformel NH3 schon zeigt, gibt es hier keinen Kohlenstoff, der zu CO oder CO2 verbrennen könnte. Es genügt also die Produktion von Grünem/Blauem Wasserstoff. Der Stickstoff (N) kann aus der Atmosphäre gewonnen werden. Emissionsarm produziertes Ammoniak gilt vor allem längerfristig als eine relativ preisgünstige Alternative zu fossilen Ölprodukten. 

    Technische Hürden und Emissionen

    Im Moment gibt es kein größeres Seeschiff, das von Ammoniak angetrieben wird. Noch gibt es eine Reihe von technischen und logistischen Hürden. 

    1. Motoren: Methanol-Motoren gibt es bereits. Bei Ammoniak-Motoren dauert es noch. Vermutlich werden die ersten serienfähigen Exemplare 2026 oder 2027 auf den Markt kommen, allerdings zu deutlich höheren Preisen als konventionelle Motoren. Auch die VW-Tocher MAN ist hier im Rennen.
    2. Emissionen: Da Ammoniak ohne CO2-Emissionen verbrennt, werden alle aktuellen und zukünftigen Emissionsvorschriften im Fahrtgebiet problemlos eingehalten. Das gilt allerdings nur, wenn die Motorenhersteller die besonders klimaschädlichen NOx-Emissionen und die N2O-Emissionen (Lachgas) bei der Ammoniakverbrennung in den Griff bekommen. Hier bestehen weiterhin ungelöste Probleme und Forschungsbedarf.
    3. Schiffsdesign: Der Umstieg auf die Verbrennung von Ammoniak erfordert auch eine Reihe von Anpassungen auf dem Schiff. Vor allem die Brennstofftanks müssen in etwa drei Mal so groß sein wie bisher, da Ammoniak gegenüber Schiffsdiesel eine geringere Energiedichte hat und zudem in dickwandigen Kältetanks gebunkert sein muss. Auch steigen die Sicherheitsanforderungen mit dem Einsatz von Ammoniak. Alle Besatzungen müssen neu geschult werden, um z.B. bei Lecks auf das toxische Gas reagieren zu können.
    4. Häfen: Sobald Grünes oder Blaues Ammoniak in größeren Mengen von der Schifffahrt eingesetzt wird, muss es in den Häfen der Welt in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen. Ähnlich wie bei Schiffsdiesel muss eine große Tankerflotte die die Seehäfen versorgen. Hierfür gibt es bereits eine Infrastruktur: Schon jetzt gibt es etwa 200 Gastanker, die neben LPG auch Ammoniak transportieren können. Ihre Zahl und vor allem die Größe der Ammoniaktanker wird jedoch steigen müssen, um der erwarteten Nachfrage gerecht werden zu können. Mehr als 120 Seehäfen sind schon heute logistisch in der Lage, größere Mengen Ammoniak zu lagern und zu handeln. Etwa 5 Mio.t Ammoniak können derzeit weltweit in den Häfen vorgehalten werden. [Q6]

      Allerdings steigen die Sicherheitsanforderungen mit den Mengen, da Ammoniak ein giftiges, brennbares Gas ist. Der breite Einsatz von Ammoniak in den Seehäfen wird ganz andere Sicherheitsprobleme als bisher erzeugen. Aus der überschaubaren Zahl von Terminals und Düngemittelfabriken entsteht dann ein dichtes Netz mit zahllosen Tankanlagen, Leitungen, Schiffen und Arbeitskräften. Sollten größere Ammoniakmengen freiwerden, könnten toxische Wolken schlagartig ganze Hafenareale gefährden.

    Die Mengen!

    Auch nach der Lösung der technischen Probleme bleiben die Herausforderungen enorm. Sollte z.B. 10% der Seeschifffahrt auf Grünes Ammoniak ausweichen, wären dafür 70 Mio.t Ammoniak und Elektrolyseure mit einer Kapazität von 130 GW notwendig, so eine Modellrechnung der IEA.[Q3]

    Zum Vergleich: Europa kommt bis 2025 nicht einmal auf 1 GW Elektrolyseleistung für alle Branchen. Selbst wenn man die Ammoniak-Projekte in anderen Weltregionen mit berücksichtigt, wird schnell deutlich, dass Grünes Ammoniak frühestens in einem Jahrzehnt eine nennenswerte Rolle in der Seeschifffahrt spielen kann.

    Der einfachere Weg: Tempolimit

    Es gibt übrigens noch eine ganz andere Methode, die Emissionen der Seeschifffahrt schlagartig und ohne den Einsatz neuer Fuels zu reduzieren: Ein Tempolimit

    Eine Verringerung der Geschwindigkeit um 10% senkt die Emissionen je Tonnenkilometer um ca. 30 Prozent. [Q9] Das ist ein Vielfaches der Menge, die Grünes oder Blaues Ammoniak in den nächsten 20 Jahren einsparen können. Klimapolitische Initiativen in dieser Richtung werden vor allem von den Containerreedereien blockiert. Time is Money – das gilt für die teuren Schiffe ebenso wie für die Güter der Kunden.

    In den letzten Wochen stiegen die Durchschnittsgeschwindigkeiten sogar an. Die Angriffe der Huthi-Streitkräfte auf die Schiffe im Golf von Aden blockierten den Zugang zum Suezkanal und machten lange Umwege um die Südspitze Afrikas notwendig. Um die Zeit wenigstens teilweise wieder aufzuholen, erhöhten die Schiffe ihre Geschwindigkeit und damit auch ihren Treibstoffverbrauch.

    Eine überhastete Einführung von Ammoniak als Shipping Fuel hätte ebenfalls zu Problemen geführt. Die ersten Bunkeroptionen für Ammoniak wird es nur in den großen Häfen wie Singapur oder Rotterdam geben. Sie planen die ersten Green Shipping Corridors. Lange, ungeplante Umwege wären für viele Schiffe nur machbar, wenn sie ihre Dual-Fuel-Motoren wieder mit Mineralölprodukten versorgen. Allerdings ist eine Lösung in Sicht: Der Hafen von Antwerpen und die belgische Reederei CMB planen bereits den Aufbau von Ammoniak- und Wasserstoff-Tanklagern an der Küste Namibias.[Q11]

    Quellen

    [Q1] https://www.maersk.com/news/articles/2024/03/26/seaborne-ghg-emissions

    [Q2] https://www.imo.org/en/MediaCentre/PressBriefings/pages/IMO-agrees-possible-outline-for-net-zero-framework.aspx

    [Q3] IEA: The Role of E-Fuels in Decarbonising Transport, Paris 2024

    [Q4] BNEF: Scaling Up Hydrogen: The Case for Low-Carbon Ammonia, Jan. 2024.

    [Q5] IEA: World Energy Outlook, Paris 2023

    [Q6] IEA: Energy Technology Perspektives, Paris 2023.

    [Q7] T&E https://transport2024.transportenvironment.org/sot/topics/ships/index.html

    [Q8] https://splash247.com/onboard-carbon-capture-system-prototype-hits-85-capture-rates/#:~:text=Researchers%20working%20on%20the%20EverLoNG,Seapeak%20Arwa%20%2C%20chartered%20by%20TotalEnergies

    [Q9] https://www.transportenvironment.org/wp-content/uploads/2021/07/Slow%20steaming%20CE%20Delft%20final.pdf

    [Q10] https://splash247.com/the-year-ahead-in-green-tech/; https://www.clarksons.net/n/#/portal

    [Q11] https://www.bloomberg.com/news/articles/2024-05-02/port-of-antwerp-to-build-250-million-namibia-hydrogen-harbor

  • Dekarbonisiertes Ammoniak: Fuel und Carrier für die globale Energiewende

    Dekarbonisiertes Ammoniak: Fuel und Carrier für die globale Energiewende

    In zwei Artikeln stelle ich Ammoniak als möglichen Baustein der globalen Energiewende vor. Der erste Teil präsentiert Basisdaten zum heutigen Ammoniakmarkt und skizziert mögliche neue Anwendungsbereiche. In nächsten Artikel geht es dann um die Chancen von dekarbonisiertem Ammoniak in der Seeschifffahrt.

    Ammoniak ist ein Thema unseres neuen Langzeitprojekts Fuel.Tracker.2050. Es startet in diesem Monat und verfolgt den Ausstieg aus fossilem Öl in Deutschland, in der EU und weltweit mit Analysen, Recherchen und News.

    1. Ammoniak: Basisinfos

    Ammoniak ist ein toxisches, stechend riechendes Gas. Im Alltag begegnet es uns vor allem in Putzmitteln. Aber Ammoniak ist in erster Linie die Grundlage für fast alle Kunstdünger und zahlreiche chemische Produkte. Es kann im Haber-Bosch-Verfahren relativ leicht hergestellt werden und gehört schon seit einem Jahrhundert zu den wichtigsten Basischemikalien der Welt. 

    Mengen und Emissionen

    Die Produktionsmengen sind enorm. Weltweit werden pro Jahr 185 Mio. Tonnen Ammoniak hergestellt. Das sind knapp 23 Kilogramm pro Kopf und Jahr. 

    In Deutschland werden je nach Auslastung der Anlagen 2-3 Mio.t Ammoniak produziert. Im Jahr 2020 waren es 3,1 Mio. Tonnen, deren Herstellung ca. 6 Mio.t CO2 veursachte. Die Menge sank wegen der Gaspreiskrise im Jahr 2022 auf 2 Mio.t.[Q1 – siehe unten] Die großen Produktionsstandorte sind Wittenberg (SKW Stickstoffwerke Piesteritz), Ludwigshafen (BASF), Brunsbüttel (Yara) und Köln (Ineos).[Q9] 

    In der EU werden um die 15 Mio.t Ammoniak pro Jahr produziert, wobei die Mengen wegen der volatilen Erdgaspreise auch hier stark schwanken. Die europäischen Anlagen sind im Durchschnitt sehr alt und verbrauchen etwa 10 Mrd. Kubikmeter Erdgas pro Jahr. Weitere 2,9 Mio. Tonnen wurden importiert.[Q6, Q11] 

    Stickstoff und Wasserstoff

    Die chemische Summenformel für Ammoniak ist simpel: NH3. Hauptbestandteil des Moleküls ist Stickstoff (N) mit einem Masseanteil von 82%. Den Rest (18%) bilden die drei leichten Wasserstoffatome (H3). Damit ist auch schon fast alles gesagt: 

    1. Stickstoff (N) ist der wichtigste Bestandteil für Kunstdünger. Ammoniak wird außerhalb der USA aber nur selten direkt eingesetzt. Weitaus häufiger ist die Weiterverarbeitung zu Harnstoff (Urea) und anderen Düngersorten. Harnstoff ist übrigens auch der Wirkstoff in AdBlue (Abgasnachbehandlung für Dieselmotoren).

    2. Die drei Wasserstoffatome (H3) im Ammoniak machen das Gas auch für die Dekarbonisierung der Energieversorgung interessant. Die Zahl der Veröffentlichungen zu diesem Thema ist bereits unübersehbar. Hunderte von Pilotprojekten starten in diesen Jahren. Ähnlich wie Wasserstoff scheint Ammoniak ein Tausendsassa für die Klimapolitik zu werden – wenn er klimaschonend hergestellt wird. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Mehr dazu später.

    2. Produktionsverfahren

    Die heutigen Produktionsverfahren erzeugen große Mengen an CO2 und verbrauchen erhebliche Mengen an Energie. Etwa 2,0% der globalen Endenergie (Final Energy) und 1,3% der CO2-Emissionen gehen auf das Konto der Ammoniakproduktion. 

    Das sind etwa 450 Mio.t CO2, schätzt die IEA, wobei die Klimabelastungen in der vorgelagerten Erdgas- oder Kohleförderung (Methanemissionen) noch nicht berücksichtigt sind.[Q3]  Zu 90 Prozent entstehen die Emissionen bei der Bereitstellung des Wasserstoffs. Die Ammoniakbranche konsumiert 60% des industriellen Wasserstoffbedarfs und steht damit zusammen mit den Ölraffinerien an erster Stelle der H2-Verbraucher.[Q5] 

    Etwa 72% des weltweiten Ammoniakangebots werden mit Erdgas hergestellt. Dabei wird Erdgas als Fuel und als Feedstock in Dampfreformern (Steamcracker) bei hohen Temperaturen in seine Bestandteile zerlegt. Es entsteht Wasserstoff und CO2. Der Stickstoff wird der Luft entnommen. Nur in China wird vor allem Kohle anstelle von Erdgas eingesetzt (26%). 

    Die Herstellung von Ammoniak verbraucht weltweit 170 Mrd. Kubikmeter Erdgas. Zum Vergleich: Das entspricht dem doppelten Erdgasbedarf Deutschlands). Vor allem in China werden zusätzlich auch 75 Mio.t Kohle verbrannt. Der Rest entfällt auf Öl. Ausgerechnet in der EU kommen die veralteten ölbasierten Produktionsverfahren noch zum Einsatz – ein Anachronismus im Weltmarkt.[Q3]

    Umgerechnet auf die Tonne Ammoniak werden je nach Standort und Berechnungsmethode 1,8-2,5 Tonnen CO2 emittiert, wenn Erdgas eingesetzt wird. In Europa sind es durchschnittlich 1,9 t CO2 je Tonne Ammoniak, weltweit durchschnittlich 2,2 tCO2/tNH3. Das ist doppelt so viel wie bei Stahl.[Q8, Q10] 

    3. Preise und Handel

    Ammoniak wird nur zu einem kleinen Teil frei gehandelt (ca. 20 Mio.t). Etwa 90% werden direkt vor Ort in integrierten Produktionsanlagen zu Stickstoffdünger weiterverarbeitet, vor allem zu Urea (Harnstoff).[Q7]  Weltweit gibt es Hunderte von Hafenterminals, die Ammoniak importieren können und zahlreiche Gastanker, die Ammoniak transportieren können. An Land dominiert der Transport über die Schiene.

    Die Preise richten sich vor allem nach der Marktlage, dem Standort und dem Preis von Erdgas. Im Februar 2024 lagen sie bei 300 $ für eine Tonne Ammoniak an sehr guten Produktionsorten mit niedrigen Gaspreisen, also z.B. am Persischen Golf. In Westeuropa kostete Ammoniak um die 450 $/t.[Q2] 

    4. Die Zukunft: Ammoniak als Fuel und Carrier

    Bisher wird Ammoniak in fossilen Verfahren produziert, die hohe Emissionen verursachen (Graues Ammoniak/Grey Ammonia). Der weitaus größte Teil der Emissionen entsteht wie erwähnt bei der Bereitstellung des Wasserstoffs. Wenn jedoch Grüner Wasserstoff (Elektrolyse plus Grünstrom) zur Verfügung steht oder Blauer Wasserstoff, also traditionelle Verfahren plus CCS (Abscheidung und Deponierung des CO2), kann auch Ammoniak (teil-)dekarbonisiert werden: Grünes Ammoniak und Blaues Ammoniak. Damit eröffnen sich neue Anwendungsbereiche.

    a) Ammoniak als Carrier für Wasserstoff im Seeverkehr 

    Wasserstoff kann nur mit großem Aufwand und erheblichen Energieverlusten für den Seetransport auf -253ºC abgekühlt und verflüssigt werden. Auch kompromiertes Wasserstoffgas ist unhandlich und über weite Distanzen zu teuer. 

    Wasserstoff könnte jedoch schon im Exportland bei relativ geringen Energieverlusten an Stickstoff gebunden werden. Das dabei entstehende Ammoniak (NH3) wird dann bei nur geringem Kühlaufwand (-33ºC) verflüssigt und kann in den üblichen Gastankern transportiert werden. Das geschieht bereits heute mit Grauem Ammoniak im großen globalen Markt für Düngemittel. 

    Der Importeur kann das Ammoniak dann entweder direkt einsetzen – oder den Wasserstoff in einem Ammoniak-Cracker wieder extrahieren. Dieses Cracking ist allerdings aufwendig und wurde im industriellen Maßstab bisher noch nicht realisiert. Erste Anlagen sollen aber schon in den nächsten Jahren gebaut werden.

    An den deutschen und niederländischen Küsten sowie in Hamburg werden bereits heute neue Ammoniak-Importterminals und Cracker geplant. Sie sollen, so die Idee, die LNG-Importe, also fossiles Erdgas, ergänzen und langfristig sogar ersetzen. Mehr dazu später.

    b) Ammoniak als Schiffstreibstoff

    Auch die Schifffahrtsbranche steht unter erheblichem Druck, ihre Klimaemissionen bis spätestens 2050 zu minimieren. Bisher kommen fast ausschließlich fossile Brennstoffe in den Schiffsmotoren zum Einsatz. Das ist in erster Linie schwerer, schwefelhaltiger Schiffsdiesel; in letzter Zeit immer häufiger auch LNG (flüssiges fossiles Erdgas).

    Emissionsarm produziertes Ammoniak könnte neben Biofuels eine relativ preisgünstige Alternative dazu darstellen. Da Ammoniak ohne CO2-Emissionen verbrennt, werden alle aktuellen und zukünftigen Emissionsvorschriften im Fahrgebiet problemlos eingehalten – zumindest wenn die Motorenhersteller die klimaschädlichen NOx-Emissionen bei der Ammoniakverbrennung in den Griff bekommen.

    Alternative Bunker Fuels für die Seeschifffahrt haben vor allem durch die neue FuelEU Maritime Regulation der EU starken Auftrieb erhalten. Die EU schreibt darin einen im Laufe der Jahre steigenden Anteil emissionsarmer Beimischungen vor (mehr dazu im nächsten Artikel).

    c) Ammoniak als Brennstoff-Beimischung in Kohlekraftwerken

    Eher abwegig erscheint der Einsatz von Blauem oder Grünem Ammoniak als Beimischung für Kohlekraftwerke. Trotz der hohen Kosten und der miserablen Energie- und Klimabilanz sind die Wachstumsaussichten in diesem Markt überraschend gut. Auch die dort eingesetzten Mengen könnten andere Anwendungsbereiche zunächst in den Schatten stellen.

    Hintergrund sind die Klimaschutzvorschriften für Stromversorger in Japan und in anderen asiatischen Ländern. Die Anforderungen steigen dort nur langsam, so dass ein Wechsel auf andere Stromerzeuger aus Sicht der Konzerne nicht attraktiv erscheint. Vor allem die japanischen Stromriesen wollen ihre Kohlekraftwerke vorerst nicht abschreiben. 

    Erste Pilotprojekte deuten darauf, dass die Beimischung geringer Ammoniakanteile technisch ohne größere Anpassungen möglich sind. Kraftwerksbetreiber in Japan, Indonesien, Indien, Malaysia, Philippinen, Singapur, Südkorea, Taiwan und Thailand planen oder realisieren derzeit Pilotprojekte.

    d) Ammoniak im Straßenverkehr, kleine Schiffe, stationären Brennstoffzellen u.a.

    Ähnlich wie beim Thema Wasserstoff werden auch für Ammoniak zahlreiche weitere Anwendungsbereiche erforscht und in Pilotprojekten realisiert, auch in Deutschland (u.a. im Projekt Campfire [Q4]). Ammoniak-Brennstoffzellen, Ammoniak-Motoren für Straßenfahrzeuge, Ammoniak als Stromspeicher und andere Einsatzbereiche sind denkbar, aber die technischen Alternativen wie Wasserstoff und Batterien sind auf allen diesen Gebieten, zumindest aus heutiger Sicht, weit voraus. Ein Einsatz in Nischenmärkten ist dennoch vorstellbar.

    Autor: Steffen Bukold

    Das war Teil 1 unserer Artikelserie zum Thema Ammoniak. Der nächste Artikel erscheint Anfang Mai.


    Basisdaten für flüssiges Ammoniak

    – Verflüssigung bei -33 Grad

    – Volumetrische Energiedichte (LHV): 12,7 MJ/l (3,5 kWh/l).

    – Gravimetrische Energiedichte (LHV): 18,6 MJ/kg (5,2 kWh/kg)

    – 1 kg Ammoniak enthält 178 g Wasserstoff

    (Quelle: IEA-TCP)


    Quellen

    [Q1] VCI: Chemiewirtschaft in Zahlen 2023, Frankfurt/Main 2023

    [Q2] S&P Global: Platts Ammonia Price Chart, Feb. 2024 

    [Q3] IEA: Ammonia Technology Roadmap, Paris 2021 

    [Q4] https://www.wasserstoff-leitprojekte.de/leitprojekte/transhyde; https://www.spektrum.de/news/ammoniak-als-schiffstreibstoff-unter-gruenem-volldampf/1856677

    [Q5]  IEA: Global Hydrogen Review, Paris 2023 

    [Q6] Worldbank Trade Data für 2022 (WITS HS Code 281410) 

    [Q7]  https://energypost.eu/will-eu-decarbonisation-policies-shift-the-fertiliser-industry-into-making-ammonia-for-energy-but-outside-the-eu/

    [Q8]  IRENA and AEA, Innovation Outlook: Renewable Ammonia, 2022

    [Q9] EE Energy Engineers/TÜV Nord: Ammoniak als Energieträger für die Energiewende, World Energy Council, 2023

    [Q10] https://www.spglobal.com/commodityinsights/en/market-insights/blogs/agriculture/020823-cbam-ets-impact-fertilizer-trade

    [Q11] https://www.euractiv.com/section/energy/opinion/why-green-ammonia-will-be-the-workhorse-of-eus-future-hydrogen-economy/