Allzeithochs (in Euro) bei Rohöl und Benzin. Wie ist das möglich? Manipulation beim Ölpreis? Aber Ölpreis ist nicht gleich Ölpreis – das gilt auch für Finanzmarktprodukte und geschlossene Öl- und Gasfonds. Lesen Sie dazu mein ausführliches Interview im Manager Magazin.
Hier der Text:
20.08.2012
BENZINPREIS AUF REKORDHOCH
“Es gibt auf dem Ölmarkt immer wieder Manipulationen”
Ölförderung in den USA: Der Rohstoff hat sich in den vergangenen Monaten deutlich verteuert. In Deutschland erreichen die Spritpreise Rekordhöhen
mm: Herr Bukold, seit dem Skandal um die Manipulation des Libor-Zinssatzes gibt es Mutmaßungen, so etwas könnte auch am Ölmarkt passieren, da die Preise dort auf ähnliche Weise bestimmt würden. Was meinen Sie, wird der Ölpreis manipuliert?
Bukold: Das hängt davon ab, was Sie unter Manipulation verstehen. Es gibt im Markt ein großes Kartell, die Opec, und in Spezialmärkten einzelne dominante Anbieter. Aber der Vergleich mit dem Libor-Skandal passt nicht.
mm: Weshalb nicht?
Bukold: Aus vielerlei Gründen. Es gibt natürlich auch im Rohöl- und Produktenmarkt immer wieder illegale Manipulationen, wie in anderen Branchen auch. In den USA wird alle paar Wochen ein Unternehmen zu Bußgeldern verurteilt, zum Beispiel, weil es versucht hat, in einer bestimmten Region den Benzinpreis im Großhandel in die Höhe zu treiben. Dass es jedoch einen systematischen Zusammenhang gibt zwischen Preisagenturen und Marktteilnehmern, mit illegalen Absprachen also, halte ich für sehr unwahrscheinlich.
mm: Sie sprechen die Preisagenturen an, die bei der Preisfindung im Ölmarkt eine zentrale Rolle spielen. Ähnlich wie bei der Libor-Ermittlung befragen diese Agenturen regelmäßig Marktteilnehmer, um daraufhin den Ölpreis festzustellen. Bietet dieses System nicht zumindest die theoretische Möglichkeit zur Manipulation?
Bukold: Das System hat tatsächlich den Nachteil, dass es im Gegensatz zur Ölbörse nicht öffentlich ist. Die Mitarbeiter der Agenturen rufen Marktteilnehmer an, beispielsweise für den Diesel-Markt in Nordwesteuropa oder den Gasöl-Markt in Singapur. So bekommen sie bestimmte Informationen über tagesaktuelle Preise. Damit ist der Vorgang aber noch längst nicht abgeschlossen.
mm: Was folgt?
Bukold: Die Agenturen prüfen, ob die Angaben plausibel sind. Sie schauen auf die Preise auf anderen Märkten, auf die Börsenpreise, auf die Raffineriemargen und andere Indikatoren. Zudem muss so ein Preis in die Zeitfolge passen. Ein September-Preis kann beispielsweise nicht signifikant vom August- und Oktober-Preis abweichen, es sei denn, es wäre gut begründet. Und das ist nur der Check innerhalb der Preisagentur. Für die wichtigsten Märkte gibt es mehrere Agenturen, die im Wettbewerb stehen.
mm: Um es konkret zum machen, von welchen Gesellschaften sprechen wir zum Beispiel?
Bukold: Für Ölpreise in Europa gibt es vor allem die beiden großen Agenturen, die amerikanische Platts und die britische Argus. Hinzu kommt zum Beispiel ICIS und der Oil Market Report OMR in Norddeutschland. Aber auch Reuters und Bloomberg berichten darüber aus eigenen Quellen. Als Orientierungshilfe gibt es schließlich auch noch vereinzelt öffentliche Auktionen.
mm: Das heißt?
Bukold: Auf einer Auktion im sogenannten Platts Window wird beispielsweise eine Tankerladung Benzin für Rotterdam versteigert. Das Verfahren ist recht transparent, Käufer, Verkäufer und Preise sind realtime sichtbar.
mm: Alles in allem handelt es sich bei der Ölpreisfindung offenbar um ein recht unübersichtliches, komplexes Verfahren mit vielen Beteiligten und zahlreichen Einflussfaktoren. Wird die Möglichkeit zu systematischer Manipulation dadurch beschränkt?
Bukold: Insofern wir hier über Preisagenturen sprechen, ja. Zumal es, um beim Vergleich zu bleiben, nur wenige Akteure im Libor-Markt gibt. Im Ölmarkt dagegen jedoch Hunderte von Akteuren und Tausende von Preisen, die miteinander vernetzt sind. Bricht einer aus, erregt das sofort Aufsehen. Allerdings gibt es in Ölmärkten häufig ein systematisches Ungleichgewicht zwischen wenigen sehr großen Anbietern, zum Beispiel ein, zwei Raffinerien, und vielen Nachfragern. Das ist natürlich nicht optimal für einen fairen Preis.
mm: Dennoch: Wie unabhängig sind die Agenturen von der Ölindustrie?
Bukold: Von der Kapitalstruktur her sind sie unabhängig. Argus etwa ist völlig selbstständig und befindet sich im Eigentum der Mitarbeiter. Platts wurde vor einigen Jahren von einem großen US-Verlag gekauft. Das Geschäftsmodell der Agenturen basiert darauf, dass auch die Nachfrager, also zum Beispiel die vielen Chemieunternehmen, Luftfahrtgesellschaften et cetera, das Verfahren der Preisfindung als fair empfinden.
mm: Welche Rolle spielt bei alldem das Förderkartell Opec?
Bukold: Die Opec ist froh, dass es die Agenturen gibt. Denn dadurch kann das Kartell preispolitisch im Hintergrund bleiben. Auch die Saudis formulieren ihre Preise auf der Basis der Agenturpreise, also zum Beispiel “Argus Sour Crude plus zwei Dollar” für eine saudische Rohölsorte.
mm: Dennoch beeinflusst die Opec den Ölpreis, nämlich über die Fördermenge.
Bukold: Richtig, den Einfluss des Kartells sollte man durchaus kritisch sehen. Darüber hinaus gibt es jedoch noch andere ölpolitische Probleme, die für die Verbraucher und die Sicherheit der Energieversorgung eine weitaus größere Rolle spielen.
mm: Welche sind die wichtigsten?
Bukold: Vor allem die drohende Ölverknappung und Peak Oil. Es ist absehbar, dass das Ölangebot nur noch wenige Jahre mit der steigenden Nachfrage Schritt halten kann. Das Problem wird immer noch unterschätzt, obwohl es immense ökonomische Risiken mit sich bringt; andererseits aber auch Geschäftschancen für Unternehmen und Branchen, die sich rechtzeitig darauf einstellen. Ganz aktuell gibt es zudem Probleme mit dem Brent-Preis.
mm: Welche denn?
Bukold: In der Nordsee wird immer weniger Öl gefördert, und die technischen Probleme bei den alten Anlagen häufen sich. Nun ist der Brent-Preis aber die Orientierungsmarke für zwei Drittel des Weltmarktes. Steigt er also an, dann steigen in der Tendenz auch alle anderen Preise. Eine kleine technische Störung hat dadurch eine völlig unverhältnismäßige globale Auswirkung.
mm: Wüssten Sie Abhilfe?
Bukold: Man könnte auch andere Rohölströme in die Berechnung des Brentpreises einfließen lassen. Zum Beispiel russische, nordafrikanische oder westafrikanische Ölsorten. Dadurch sinkt die Bedeutung lokaler Probleme. Was sonst passieren kann, sieht man beim oft zitierten WTI-Preis.
mm: Sie meinen die Ölsorte “West Texas Intermediate” – was ist damit geschehen?
Bukold: Der WTI-Preis hat inzwischen nur noch eine regionale Bedeutung. Aufgrund der Engpässe bei den Exportpipelines koppelte sich der Preis vom globalen Markt ab. Zurzeit liegt er fast 20 Prozent unter dem Weltmarktniveau. Das bekommen auch Kapitalanleger zu spüren, weil nach wie vor viele Finanzprodukte an WTI hängen.
mm: Was bedeutet das für die Investoren?
Bukold: Deutsche Privatanleger, die WTI-Papiere kaufen, wollen damit normalerweise den Weltölmarkt abbilden. Doch wenn die Zertifikate oder Optionsscheine an WTI und nicht an Brent gekoppelt waren, kann es trotz steigender Ölpreise weltweit zu Wertverlusten kommen. Viele wissen das zwar inzwischen, aber längst noch nicht alle. Das liegt auch an den deutschen Finanzmedien, die Brentpreise und WTI-Preise nebeneinander stellen, so als hätten sie dieselbe Relevanz.
mm: Es gibt auch geschlossene Fonds, die in Öl- und Gasprojekte in den USA investieren. Was ist mit denen?
Bukold: Deren Anleger sind doppelt betroffen. Denn viele dieser Bohrprojekte suchen auch nach Gas. Aber der US-Gaspreis liegt wegen des Überangebots etwa 70 Prozent unter dem europäischen und asiatischen Preisniveau.
mm: Sie sprechen die Rolle der Medien an. Sie sehen die laufende Berichterstattung über den Ölmarkt kritisch, weil ihrer Ansicht nach häufig zu einfache Zusammenhänge dargestellt werden. Ist es wirklich so schlimm?
Bukold: Die Ölwelt hat sich in den letzten fünf Jahren deutlich verändert. Viele Medienberichte sind aber noch im alten Trott. Die Ölpreise werden zum Beispiel heutzutage mindestens ebenso stark von China wie von den USA beeinflusst. Aber die meisten Medien scheuen die aufwendige Recherche über den chinesischen Markt, während die US-Daten überall leicht erhältlich sind und schon vorinterpretiert über den Ticker laufen.
mm: Auch ein Problem des Mediensystems also.
Bukold: Ein zweites Problem sind die Ölprodukte wie Diesel oder Benzin, deren Märkte ebenfalls auf den Rohölpreis zurückwirken. Auch hier ist die Recherche schwieriger und ohne Fachkenntnisse kaum machbar. Also nimmt man doch lieber das letzte Broker-Interview von der amerikanischen Börse.
mm: Ja, die Befragung von Experten gilt oft als probates Mittel.
Bukold: Viele medienpräsente Broker oder Finanzexperten kennen den Ölmarkt aber nur aus der Ferne. So entstehen simple Erklärungen wie: Der Ölpreis steigt heute Morgen, weil Israel den Iran angreifen will. Wenn dann aber nachmittags der Ölpreis trotz anhaltender Spannungen in Nahost wieder fällt, wird die Fehlinterpretation nicht mehr weiter kommentiert. Und am nächsten Tag geht das Spiel wieder von vorn los.
mm: Heißt das, im komplexen System der Ölpreisfindung existiert die Verbindung zwischen dem Preis und tagesaktuellen Entwicklungen gar nicht?
Bukold: Manchmal ja, manchmal nein. Man kann es eben ohne gründliche Recherche nicht beurteilen. Und an manchen Tagen bleibt die Preisbewegung nun mal unerklärlich. Das sollte man auch so benennen. Meine Kritik setzt da an, wo beliebige Topmeldungen mit dem Ölpreis in Zusammenhang gebracht, nur weil sie gleichzeitig stattfinden.
mm: Das Phänomen gibt es allerdings auch anderswo, zum Beispiel an der Aktienbörse. Es dürfte aber auch schwer möglich sein, selbst bei intensiver Recherche, sämtliche Einflussgrößen auf eine bestimmte Ölpreisbewegung präzise zu identifizieren.
Bukold: Richtig. Letztlich sind kurzfristige Bewegungen beim Ölpreis nicht das Ergebnis von Fakten, sondern von Kaufentscheidungen der Marktteilnehmer. Mein Lieblingsbeispiel ist ein Putsch im westafrikanischen Land Niger vor einigen Jahren. Da kurz danach die Ölpreise in den USA anstiegen, wurde die Gefährdung der amerikanischen Ölversorgung von Brokern und anderen vermeintlichen Experten herausgestellt. Erst einige Stunden später stellte sich heraus, dass sie Niger und Nigeria verwechselt hatten – in Niger gibt es überhaupt keine nennenswerte Ölforderung.