3. April 2013
Die Energiewende in Deutschland steht zur Zeit aus allen Richtungen unter Beschuss. Erst die „Vermaisung“ und „Verspargelung“ der Landschaft, dann die Debatte um steigende Strompreise sowie die Kritik an Offshore-Windparks.
Und jetzt der Wärmemarkt: Lohnt sich die energetische Gebäudesanierung, selbst angesichts der rasanten Entwicklung der Heizölpreise und Gaspreise, ja sogar der Pelletpreise? Das Forschungsinstitut Prognos hat im Auftrag der KfW-Bank das Kosten-Nutzen-Verhältnis der energetischen Gebäudesanierung untersucht. Die Studie (Prognos AG: Ermittlung der Wachstumswirkungen der KfW-Programme zum Energieeffizienten Bauen und Sanieren) kommt – so der erste Eindruck – zu dem Ergebnis, dass die Kosten der Maßnahmen bis 2050 bei 838 Mrd. Euro liegen werden, wenn die energiepolitischen Ziele (-80% CO2 bis 2050) erreicht werden sollen. Der Nutzen durch eingesparte Heizkosten sei allerdings nur knapp halb so groß, nämlich 372 Mrd. Euro.
Ergo, so das einhellige Fazit in der Presse (Spon, Focus, Wiwo, Welt): Die energetische Sanierung des Gebäudebestands lohne sich nicht. (Nachtrag 4.4.: Spon hat seinen Artikel nach der klärenden PM der KfW revidiert).
Vorschnell interpretiert
Diese Schlussfolgerung blieb zu Recht nicht unwidersprochen.
1.
Zum einen, weil auch Prognos das nicht behauptet. Ziel der Studie war eine gesamtwirtschaftliche Bewertung der energetischen Gebäudesanierung. Die Einsparungen bei den Heizkosten durch Heizöl, Gas etc. ist nur ein Kriterium. Hinzu kommen erhebliche Arbeitsplatzeffekte, ein höheres Wirtschaftswachstum und CO2-Vermeidung. Zum letzten Punkt siehe auch MdB Fell (Die Grünen).
Es geht also nicht um den Sinn der Sanierung schlechthin, sondern um die Frage, ob sich die Maßnahme für alle Beteiligten lohnt. Staat und Volkswirtschaft profitieren zweifellos, aber eben nicht – so scheint es – die Hausbesitzer, Bauherren und Mieter. Die sparen zwar erhebliche Summen, weil sie sich von der Entwicklung der Heizölpreise ein Stück weit unabhängiger machen. Aber die Kosten für die Sanierung seien letztlich höher.
2.
Aber selbst diese eingeschränkte Kritik trifft nicht zu. Die Auftraggeberin der Studie, KfW, schob ob der Fehlinterpretationen rasch eine klärende Pressemitteilung nach: In den Investitionen (838 Mrd. in Szenario 2) sind auch allgemeine Renovierungskosten enthalten, die ohnehin anfallen – also unabhängig von einer zusätzlichen energetischen Sanierung. Zieht man die “Ohnehin-Kosten” ab, dann lohnt sich die energetische Sanierung auch für die Bestandsbauten.
Hinzu kommen weitere Argumente und Einwände, durch die sich die Bilanz noch weiter zugunsten der energetischen Sanierung verschiebt:
3.
Die Abschreibungszeit ist länger als in der Studie angenommen: Die Dämmung (WDVS) muss nach ca. 20 Jahren nicht völlig erneuert werden. Normalerweise wird eine einfache Renovierung, also insbesondere ein Fassadenanstrich genügen, der auch ohne Dämmung fälllig wäre. Mehr dazu bei fassadendoc.
Bei der Dämmung der Kellerdecke wird der Sanierungseffekt auch noch 80 Jahren noch spürbar sein. Da greift eine Abschreibungszeit von 20-30 Jahren zu kurz. Nimmt man weiter an, dass zinslose Kredite zur Verfügung stehen, dann stellt sich auch die Frage nach dem geeigneten Diskontsatz. In der Studie wird er mit 2,25% angesetzt, also der Verzinsung der 30jährigen Bundesanleihe. Ein Einspareffekt von 100 Euro, der z.B. erst 2080 eintritt, hat bei diesem Diskontsatz einen aktuellen Barwert von nur 18 Euro.
4.
Eine intelligente Auswahl von Teilsanierungen kann wegen der Vielzahl von Situationen methodisch nicht berücksichtigt werden, wie Andreas Kühl herausstellt. In der Praxis werden sich die Bauherren oder Hausbesitzer die kostengünstigsten Maßnahmen heraussuchen, also nicht zwangsläufig eine teure Gesamtsanierung wählen. Je nach Gebäude oder Standort lässt sich schon mit einem Teil der Maßnahmen ein großer Teil der Einspareffekte erzielen.
5.
Die Gebäude erfahren durch die Sanierung einen Wertzuwachs und haben einen gestiegenen Wohnkomfort, den man mit den Kosten gegenrechnen müsste, während Heizöl oder Erdgas einfach durch den Schornstein verpuffen.
6.
Die Entwicklung der Energiepreise, insbesondere der Heizölpreise und Holzpreise und die Annahmen zum Energieträgermix erscheinen willkürlich. Die Studie geht ohne nähere Begründung von einer sehr moderaten Preistendenz bei der Endenergie in den kommenden 38 Jahren aus:
[blockquote author=”Prognos”] Im Vergleich zu den Szenarien zum Energiekonzept wurde in dieser Studie ein stärker ansteigender Energiepreispfad unterstellt. Für Endkunden beträgt die mittlere jährliche Realpreissteigerung in allen Szenarien etwa 1,1 %. [/blockquote]
Die folgende Tabelle zeigt die realen Preise je kWh. Sie sollen je nach Szenario von 7,8 Cent auf 11,8 bzw. 11,9 Cent steigen. In den beiden Zielszenarien wird Heizöl und z.T. auch Gas überraschenderweise vor allem durch Holz verdrängt, zum kleineren Teil auch durch Solarthermie und Wärmepumpen. Das ist natürlich ein mögliches Szenario, aber man könnte einwenden, dass die Pelletpreise bei einem starken Nachfragezuwachs sehr steil steigen werden. Das konnte man in den letzten Monaten bereits sehen. Auch bei Heizölpreisen und Gaspreisen kann man unangenehmere Szenarien gut begründen, wie wir es in unserer Kurzstudie ansatzweise getan haben. Damit wären schon 70% des Wärmemarktes im Jahr 2050 erheblichen Preisrisiken ausgesetzt.
Insofern würde es sich lohnen, auch ein Szenario mit einer realen Preissteigerung von 2% pro Jahr durchzurechnen. Die energetische Sanierung würde dann sehr viel vorteilhafter dastehen.
Allerdings ist auch der umgekehrte Fall vorstellbar: Sollten Überschüsse im Stromsektor (Wind, Solar) über Warmwasserspeicher im Wärmemarkt ankommen, könnten die Heizungskosten sinken. Ähnliches ist bei modernen Stromheizungen denkbar, die überschüssigen Windstrom im Winter zu günstigen Tarifen abnehmen. Das wäre für die Mieter bzw. Eigentümer erfreulich, verringert dann aber die Attraktivität der energetischen Sanierung. Auch sollte man den Rebound-Effekt bei gut gedämmten Häusern nicht außer acht lassen. Wer nur noch wenig verbraucht, wird sorgloser als bisher mit Wärmeenergie umgehen.
Quelle: Prognose
7.
Effizienzsteigerung bei energetischer Sanierung: Prognos wählt eine vorsichtige Variante bei der Produktivitätsentwicklung in der energetischen Sanierung:
[pullquote style=”default”]Hinsichtlich der Kostenentwicklung im Bereich der energetischen Gebäudesanierung konnten keine historischen Daten recherchiert werden, die eine belastbare Basis für die Fortschreibung bis 2050 darstellen… Es wird davon ausgegangen, dass bis 2050 die Kostensenkungspotenziale insgesamt überwiegen und somit ein Netto-Kostendegressionspotenzial von 15% existiert.[/pullquote]
15% in 38 Jahren – das ist praktisch ein Stillstand in der Innovationskraft einer ganzen Branche. Wenn die Kapazitäten größer werden, wächst der Wettbewerb und damit der Kostendruck. Auch hier könnte man sich also ein weitaus vorteilhafteres Szenario vorstellen, das die Gesamtbilanz der Sanierungsmaßnahmen deutlich verbessert.
FAZIT
Die Prognos-Studie wurde in der Presse bislang oberflächlich oder gar falsch interpretiert, dabei bietet sie zahlreiche Daten und Einsichten, die zu einem verbesserten Verständnis der Kosten und des Nutzens der energetischen Gebäudesanierung beitragen.
Energetische Sanierungsmaßnahmen rechnen sich demnach nicht nur aus energiepolitischer und volkswirtschaftlicher Sicht. Auch für Hausbesitzer und Mieter weisen sie in den meisten Fällen eine finanziell attraktive Bilanz auf. Hinzu kommt: Schon leicht veränderte Annahmen in den Szenarien, etwa bei den Energiepreissteigerungen oder bei den Kosten der Sanierung, lassen das Pendel noch deutlicher zugunsten der energetischen Sanierung ausschlagen.
Autor: Dr. Steffen Bukold (EnergyComment)