Dekarbonisiertes Ammoniak: Fuel und Carrier für die globale Energiewende

In zwei Artikeln stelle ich Ammoniak als möglichen Baustein der globalen Energiewende vor. Der erste Teil präsentiert Basisdaten zum heutigen Ammoniakmarkt und skizziert mögliche neue Anwendungsbereiche. In nächsten Artikel geht es dann um die Chancen von dekarbonisiertem Ammoniak in der Seeschifffahrt.

Ammoniak ist ein Thema unseres neuen Langzeitprojekts Fuel.Tracker.2050. Es startet in diesem Monat und verfolgt den Ausstieg aus fossilem Öl in Deutschland, in der EU und weltweit mit Analysen, Recherchen und News.

1. Ammoniak: Basisinfos

Ammoniak ist ein toxisches, stechend riechendes Gas. Im Alltag begegnet es uns vor allem in Putzmitteln. Aber Ammoniak ist in erster Linie die Grundlage für fast alle Kunstdünger und zahlreiche chemische Produkte. Es kann im Haber-Bosch-Verfahren relativ leicht hergestellt werden und gehört schon seit einem Jahrhundert zu den wichtigsten Basischemikalien der Welt. 

Mengen und Emissionen

Die Produktionsmengen sind enorm. Weltweit werden pro Jahr 185 Mio. Tonnen Ammoniak hergestellt. Das sind knapp 23 Kilogramm pro Kopf und Jahr. 

In Deutschland werden je nach Auslastung der Anlagen 2-3 Mio.t Ammoniak produziert. Im Jahr 2020 waren es 3,1 Mio. Tonnen, deren Herstellung ca. 6 Mio.t CO2 veursachte. Die Menge sank wegen der Gaspreiskrise im Jahr 2022 auf 2 Mio.t.[Q1 – siehe unten] Die großen Produktionsstandorte sind Wittenberg (SKW Stickstoffwerke Piesteritz), Ludwigshafen (BASF), Brunsbüttel (Yara) und Köln (Ineos).[Q9] 

In der EU werden um die 15 Mio.t Ammoniak pro Jahr produziert, wobei die Mengen wegen der volatilen Erdgaspreise auch hier stark schwanken. Die europäischen Anlagen sind im Durchschnitt sehr alt und verbrauchen etwa 10 Mrd. Kubikmeter Erdgas pro Jahr. Weitere 2,9 Mio. Tonnen wurden importiert.[Q6, Q11] 

Stickstoff und Wasserstoff

Die chemische Summenformel für Ammoniak ist simpel: NH3. Hauptbestandteil des Moleküls ist Stickstoff (N) mit einem Masseanteil von 82%. Den Rest (18%) bilden die drei leichten Wasserstoffatome (H3). Damit ist auch schon fast alles gesagt: 

1. Stickstoff (N) ist der wichtigste Bestandteil für Kunstdünger. Ammoniak wird außerhalb der USA aber nur selten direkt eingesetzt. Weitaus häufiger ist die Weiterverarbeitung zu Harnstoff (Urea) und anderen Düngersorten. Harnstoff ist übrigens auch der Wirkstoff in AdBlue (Abgasnachbehandlung für Dieselmotoren).

2. Die drei Wasserstoffatome (H3) im Ammoniak machen das Gas auch für die Dekarbonisierung der Energieversorgung interessant. Die Zahl der Veröffentlichungen zu diesem Thema ist bereits unübersehbar. Hunderte von Pilotprojekten starten in diesen Jahren. Ähnlich wie Wasserstoff scheint Ammoniak ein Tausendsassa für die Klimapolitik zu werden – wenn er klimaschonend hergestellt wird. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Mehr dazu später.

2. Produktionsverfahren

Die heutigen Produktionsverfahren erzeugen große Mengen an CO2 und verbrauchen erhebliche Mengen an Energie. Etwa 2,0% der globalen Endenergie (Final Energy) und 1,3% der CO2-Emissionen gehen auf das Konto der Ammoniakproduktion. 

Das sind etwa 450 Mio.t CO2, schätzt die IEA, wobei die Klimabelastungen in der vorgelagerten Erdgas- oder Kohleförderung (Methanemissionen) noch nicht berücksichtigt sind.[Q3]  Zu 90 Prozent entstehen die Emissionen bei der Bereitstellung des Wasserstoffs. Die Ammoniakbranche konsumiert 60% des industriellen Wasserstoffbedarfs und steht damit zusammen mit den Ölraffinerien an erster Stelle der H2-Verbraucher.[Q5] 

Etwa 72% des weltweiten Ammoniakangebots werden mit Erdgas hergestellt. Dabei wird Erdgas als Fuel und als Feedstock in Dampfreformern (Steamcracker) bei hohen Temperaturen in seine Bestandteile zerlegt. Es entsteht Wasserstoff und CO2. Der Stickstoff wird der Luft entnommen. Nur in China wird vor allem Kohle anstelle von Erdgas eingesetzt (26%). 

Die Herstellung von Ammoniak verbraucht weltweit 170 Mrd. Kubikmeter Erdgas. Zum Vergleich: Das entspricht dem doppelten Erdgasbedarf Deutschlands). Vor allem in China werden zusätzlich auch 75 Mio.t Kohle verbrannt. Der Rest entfällt auf Öl. Ausgerechnet in der EU kommen die veralteten ölbasierten Produktionsverfahren noch zum Einsatz – ein Anachronismus im Weltmarkt.[Q3]

Umgerechnet auf die Tonne Ammoniak werden je nach Standort und Berechnungsmethode 1,8-2,5 Tonnen CO2 emittiert, wenn Erdgas eingesetzt wird. In Europa sind es durchschnittlich 1,9 t CO2 je Tonne Ammoniak, weltweit durchschnittlich 2,2 tCO2/tNH3. Das ist doppelt so viel wie bei Stahl.[Q8, Q10] 

3. Preise und Handel

Ammoniak wird nur zu einem kleinen Teil frei gehandelt (ca. 20 Mio.t). Etwa 90% werden direkt vor Ort in integrierten Produktionsanlagen zu Stickstoffdünger weiterverarbeitet, vor allem zu Urea (Harnstoff).[Q7]  Weltweit gibt es Hunderte von Hafenterminals, die Ammoniak importieren können und zahlreiche Gastanker, die Ammoniak transportieren können. An Land dominiert der Transport über die Schiene.

Die Preise richten sich vor allem nach der Marktlage, dem Standort und dem Preis von Erdgas. Im Februar 2024 lagen sie bei 300 $ für eine Tonne Ammoniak an sehr guten Produktionsorten mit niedrigen Gaspreisen, also z.B. am Persischen Golf. In Westeuropa kostete Ammoniak um die 450 $/t.[Q2] 

4. Die Zukunft: Ammoniak als Fuel und Carrier

Bisher wird Ammoniak in fossilen Verfahren produziert, die hohe Emissionen verursachen (Graues Ammoniak/Grey Ammonia). Der weitaus größte Teil der Emissionen entsteht wie erwähnt bei der Bereitstellung des Wasserstoffs. Wenn jedoch Grüner Wasserstoff (Elektrolyse plus Grünstrom) zur Verfügung steht oder Blauer Wasserstoff, also traditionelle Verfahren plus CCS (Abscheidung und Deponierung des CO2), kann auch Ammoniak (teil-)dekarbonisiert werden: Grünes Ammoniak und Blaues Ammoniak. Damit eröffnen sich neue Anwendungsbereiche.

a) Ammoniak als Carrier für Wasserstoff im Seeverkehr 

Wasserstoff kann nur mit großem Aufwand und erheblichen Energieverlusten für den Seetransport auf -253ºC abgekühlt und verflüssigt werden. Auch kompromiertes Wasserstoffgas ist unhandlich und über weite Distanzen zu teuer. 

Wasserstoff könnte jedoch schon im Exportland bei relativ geringen Energieverlusten an Stickstoff gebunden werden. Das dabei entstehende Ammoniak (NH3) wird dann bei nur geringem Kühlaufwand (-33ºC) verflüssigt und kann in den üblichen Gastankern transportiert werden. Das geschieht bereits heute mit Grauem Ammoniak im großen globalen Markt für Düngemittel. 

Der Importeur kann das Ammoniak dann entweder direkt einsetzen – oder den Wasserstoff in einem Ammoniak-Cracker wieder extrahieren. Dieses Cracking ist allerdings aufwendig und wurde im industriellen Maßstab bisher noch nicht realisiert. Erste Anlagen sollen aber schon in den nächsten Jahren gebaut werden.

An den deutschen und niederländischen Küsten sowie in Hamburg werden bereits heute neue Ammoniak-Importterminals und Cracker geplant. Sie sollen, so die Idee, die LNG-Importe, also fossiles Erdgas, ergänzen und langfristig sogar ersetzen. Mehr dazu später.

b) Ammoniak als Schiffstreibstoff

Auch die Schifffahrtsbranche steht unter erheblichem Druck, ihre Klimaemissionen bis spätestens 2050 zu minimieren. Bisher kommen fast ausschließlich fossile Brennstoffe in den Schiffsmotoren zum Einsatz. Das ist in erster Linie schwerer, schwefelhaltiger Schiffsdiesel; in letzter Zeit immer häufiger auch LNG (flüssiges fossiles Erdgas).

Emissionsarm produziertes Ammoniak könnte neben Biofuels eine relativ preisgünstige Alternative dazu darstellen. Da Ammoniak ohne CO2-Emissionen verbrennt, werden alle aktuellen und zukünftigen Emissionsvorschriften im Fahrgebiet problemlos eingehalten – zumindest wenn die Motorenhersteller die klimaschädlichen NOx-Emissionen bei der Ammoniakverbrennung in den Griff bekommen.

Alternative Bunker Fuels für die Seeschifffahrt haben vor allem durch die neue FuelEU Maritime Regulation der EU starken Auftrieb erhalten. Die EU schreibt darin einen im Laufe der Jahre steigenden Anteil emissionsarmer Beimischungen vor (mehr dazu im nächsten Artikel).

c) Ammoniak als Brennstoff-Beimischung in Kohlekraftwerken

Eher abwegig erscheint der Einsatz von Blauem oder Grünem Ammoniak als Beimischung für Kohlekraftwerke. Trotz der hohen Kosten und der miserablen Energie- und Klimabilanz sind die Wachstumsaussichten in diesem Markt überraschend gut. Auch die dort eingesetzten Mengen könnten andere Anwendungsbereiche zunächst in den Schatten stellen.

Hintergrund sind die Klimaschutzvorschriften für Stromversorger in Japan und in anderen asiatischen Ländern. Die Anforderungen steigen dort nur langsam, so dass ein Wechsel auf andere Stromerzeuger aus Sicht der Konzerne nicht attraktiv erscheint. Vor allem die japanischen Stromriesen wollen ihre Kohlekraftwerke vorerst nicht abschreiben. 

Erste Pilotprojekte deuten darauf, dass die Beimischung geringer Ammoniakanteile technisch ohne größere Anpassungen möglich sind. Kraftwerksbetreiber in Japan, Indonesien, Indien, Malaysia, Philippinen, Singapur, Südkorea, Taiwan und Thailand planen oder realisieren derzeit Pilotprojekte.

d) Ammoniak im Straßenverkehr, kleine Schiffe, stationären Brennstoffzellen u.a.

Ähnlich wie beim Thema Wasserstoff werden auch für Ammoniak zahlreiche weitere Anwendungsbereiche erforscht und in Pilotprojekten realisiert, auch in Deutschland (u.a. im Projekt Campfire [Q4]). Ammoniak-Brennstoffzellen, Ammoniak-Motoren für Straßenfahrzeuge, Ammoniak als Stromspeicher und andere Einsatzbereiche sind denkbar, aber die technischen Alternativen wie Wasserstoff und Batterien sind auf allen diesen Gebieten, zumindest aus heutiger Sicht, weit voraus. Ein Einsatz in Nischenmärkten ist dennoch vorstellbar.

Autor: Steffen Bukold

Das war Teil 1 unserer Artikelserie zum Thema Ammoniak. Der nächste Artikel erscheint Anfang Mai.


Basisdaten für flüssiges Ammoniak

– Verflüssigung bei -33 Grad

– Volumetrische Energiedichte (LHV): 12,7 MJ/l (3,5 kWh/l).

– Gravimetrische Energiedichte (LHV): 18,6 MJ/kg (5,2 kWh/kg)

– 1 kg Ammoniak enthält 178 g Wasserstoff

(Quelle: IEA-TCP)


Quellen

[Q1] VCI: Chemiewirtschaft in Zahlen 2023, Frankfurt/Main 2023

[Q2] S&P Global: Platts Ammonia Price Chart, Feb. 2024 

[Q3] IEA: Ammonia Technology Roadmap, Paris 2021 

[Q4] https://www.wasserstoff-leitprojekte.de/leitprojekte/transhyde; https://www.spektrum.de/news/ammoniak-als-schiffstreibstoff-unter-gruenem-volldampf/1856677

[Q5]  IEA: Global Hydrogen Review, Paris 2023 

[Q6] Worldbank Trade Data für 2022 (WITS HS Code 281410) 

[Q7]  https://energypost.eu/will-eu-decarbonisation-policies-shift-the-fertiliser-industry-into-making-ammonia-for-energy-but-outside-the-eu/

[Q8]  IRENA and AEA, Innovation Outlook: Renewable Ammonia, 2022

[Q9] EE Energy Engineers/TÜV Nord: Ammoniak als Energieträger für die Energiewende, World Energy Council, 2023

[Q10] https://www.spglobal.com/commodityinsights/en/market-insights/blogs/agriculture/020823-cbam-ets-impact-fertilizer-trade

[Q11] https://www.euractiv.com/section/energy/opinion/why-green-ammonia-will-be-the-workhorse-of-eus-future-hydrogen-economy/