Kurzstudie im Auftrag der Bundestagsfraktion
Bündnis90 / Die Grünen
Rekordpreise an den Tankstellen:
Allein durch steigende Rohölpreise und schwachen Euro erklärbar?
Autor:
Dr. Steffen Bukold
EnergyComment Hamburg
Hamburg 9. März 2012
0. Zusammenfassung
Rekordpreise für Superbenzin und Diesel an den deutschen Tankstellen haben eine lebhafte Debatte über die Ursachen ausgelöst: Branchenvertreter erklären den Preisanstieg durch höhere Rohölpreise und einen schwachen Euro, also die Weitergabe steigender Kosten an die Verbraucher. Kritische Stimmen vermuten dagegen, dass es der Mineralölbranche im Windschatten der Irankrise seit Jahresbeginn zusätzlich gelungen sei, ihre Margen auf Kosten der Tankstellenkunden auszuweiten. Vor diesem Hintergrund wurde die Preisentwicklung von Ende November 2011 bis Anfang März 2012 mit folgenden Ergebnissen analysiert:
1. Superbenzin:
Die Tankstellenpreise für Superbenzin sind um 11,3 Eurocent/Liter gestiegen. Nur 6,6 Eurocent/Liter (58 Prozent des Preisanstiegs) lassen sich durch höhere Rohölpreise oder einen veränderten Wechselkurs Euro/Dollar erklären. Die restlichen 4,7 Eurocent/Liter (42 Prozent des Preisanstiegs) sind das Ergebnis höherer Bruttomargen in der Mineralölbranche.
Die Bruttomarge für Superbenzin (Tankstellenpreis minus Rohölpreis) wuchs zu Lasten der Tankstellenkunden kontinuierlich von 11,52 auf 16,25 Eurocent, also um 41 Prozent. Bei einem Absatz von 2,1 Milliarden Liter Superbenzin ergibt sich daraus eine finanzielle Mehrbelastung der Tankstellenkunden von 98 Millionen Euro pro Monat.
2. Diesel:
Die Bruttomarge für Dieselkraftstoff (Tankstellenpreis minus Rohölpreis) fiel zunächst im Dezember von 23,19 auf 18,80 Eurocent/Liter und stieg seit Jahresbeginn unter großen Schwankungen bis Anfang März wieder auf 22,27 Eurocent/Liter. Die Dieselmargo blieb im Beobachtungszeitraum auf einem vergleichsweise hohen Niveau, hat sich aber per Saldo kaum verändert.
3. Downstream-Analyse:
Die Ausweitung der Margen erfolgte in jeweils unterschiedlichen Sektoren der Mineralölbranche: Die kontinuierliche Ausweitung der Benzin-Bruttomarge fand vor allem in den Raffinerien der Mineralölkonzerne statt. Die Ausweitung der Diesel-Bruttomarge seit Jahresbeginn war vor allem im Kettenabschnitt Inlandstransport-Handel-Tankstelle zu beobachten, sowohl zu Lasten der Raffinerien als auch zu Lasten der Tankstellenkunden.
4. Fazit
In einem Markt mit hohem Wettbewerbsdruck wäre zu erwarten, dass steil steigende Einkaufspreise zunächst zu einer Einengung der Margen führen, also nicht problemlos 1:1 auf dem Markt durchgesetzt werden können.
Die Auswertung zeigt jedoch, dass es der Mineralölbranche nicht nur gelungen ist, die steigenden Rohstoffkosten in vollem Umfang weiterzugeben, sondern auch die Margen auszuweiten. Das galt für Superbenzin sehr deutlich und kontinuierlich, während die Margen für Diesel per Saldo stabil blieben. Da es keine Hinweise auf zusätzliche relevante Kostenveränderungen gibt, führten diese höheren Margen in der Branche zu entsprechend höheren operativen Gewinnen.
5. Schlussbemerkung
Diese Kurzstudie zeigt, dass Marktmonitoring und Verbraucheraufklärung notwendig sind, um die Diskussion über die Ursachen hoher Tankstellenpreise zu versachlichen.
Doch selbst bei optimalen Marktverhältnissen bleibt das ölpolitische Grundproblem ungelöst: Rohöl wird immer knapper und teurer. Peak Oil steht vor der Tür. Jede Störung in der Ölversorgung wird starke Preisbewegungen auslösen, die durch Rohstoffspekulation zusätzlich angeheizt werden. Nur mit langfristig angelegten ölpolitischen Initiativen auf nationaler und internationaler Ebene kann diese Herausforderung bewältigt werden.
[divider]
1. Ausgangspunkt und Fragestellung
Steil steigende Preise für Superbenzin und Diesel an den deutschen Tankstellen haben eine lebhafte Debatte über die Ursachen dieser Entwicklung ausgelöst.
a) Branchenvertreter erklären den Preisanstieg durch die höheren Rohölpreise und einen schwachen Euro. Die aktuelle Embargopolitik der EU und der USA gegenüber dem Iran und die damit verbundenen Versorgungsrisiken haben demnach einen Preisschub an den internationalen Rohölmärkten ausgelöst, der im Euroraum dadurch verschärft wurde, dass Rohöl in Dollar gehandelt wird.
b) Andere Stimmen relativieren diese Erklärung. Im Windschatten der großen medialen Aufmerksamkeit für die Irankrise sei es der Mineralölbranche zusätzlich gelungen, entlang der Versorgungskette ihre Margen auf Kosten der Verbraucher auszuweiten.
Rohölpreis und Eurokurs reichen demnach nicht aus, die hohen Tankstellenpreise zu erklären. Dieser Verdacht erfuhr in den letzten Jahren zusätzlichen Auftrieb durch Untersuchungen des Bundeskartellamtes, das erhebliche Wettbewerbsdefizite im deutschen Kraftstoffmarkt festgestellt hat. Der Tankstellenmarkt werde von einem Anbieteroligopol dominiert, das höhere Tankstellenpreise nach bestimmten Mustern im Markt durchsetze.
Obwohl es bei dieser Auseinandersetzung “nur” um wenige Cent pro Liter geht, ist sie nicht irrelevant. Im Dezember 2011 wurden in Deutschland 2,1 Milliarden Liter Superbenzin und 3,1 Milliarden Liter Dieselkraftstoff abgesetzt. Ein Preisverzerrung an der Tankstelle von beispielsweise fünf Cent pro Liter führt rechnerisch zu einem zusätzlichen Kaufkraftverlust von täglich 8,3 Millionen Euro bzw. jährlich 3 Milliarden Euro (auf Basis der Absatzzahlen für Dezember 2011).
Vor dem Hintergrund dieser Debatte untersucht diese Kurzstudie die Preiskomponenten der Tankstellenpreise in den vergangenen Monaten. Sind die Tankstellenpreise also allein durch die Rohölpreise und den Eurokurs erklärbar?
2. Hintergrund: Verteilung der Einnahmen im internationalen Öl- und Kraftstoffgeschäft
Der Tankstellenpreis entsteht durch die Addition zahlreicher Kostenkomponenten.
a) Feste Bestandteile in Deutschland sind die Energiesteuern (65,45 Cent/Liter für Benzin und 47,04 Cent/Liter für Dieselkraftstoff), die Abgaben nach dem Erdölbevorratungsgesetz (0,37 bzw. 0,32 Cent/Liter), sowie die Umsatzsteuer in Höhe von 19 Prozent, die auf die Summe der festen und variablen Bestandteile anfällt.
b) Variable Kostenbestandteile sind insbesondere die im Trend steigenden Rohölkosten, die Kosten für Tanker- und Pipelinetransporte, die stark schwankenden Raffineriemargen und die im Vergleich dazu relativ konstanten Downstreamkosten für Transporte (z.B. Binnenschiff auf dem Rhein plus LKW oder Schiene). Hinzu kommen die Kosten für Tanklager, allgemeinen Vertrieb sowie, am Ende der Kette, die Tankstellen.
Die Größenordnung der Einnahmen (ohne Energie- und Umsatzsteuer) wird im folgenden Schaubild veranschaulicht. Die Größe der Rechtecke gibt einen ungefähren Eindruck von der Einnahmenverteilung. Dabei sollte noch erwähnt werden, dass die mit Abstand höchsten Renditen im Fördergeschäft erzielt werden. Aktuell stehen Förderkosten von z.B. 5-20 Dollar/Barrel im arabischen Raum einem Rohölpreis von 125 Dollar/Barrel gegenüber.
Schaubild: Einnahmenverteilung im Ölgeschäft
3. Preisanalyse – Methodischer Ansatz
Für diese Kurzstudie wurden die Preise in der Zeit vom 28. November 2011 bis 2. März 2012 untersucht. Dadurch wird die Periode vor und während der neuen Embargopolitik gegen den Iran bzw. der medialen Aufmerksamkeit für diese Ereignisse erfasst.
In der statistischen Analyse wurden jeweils die wöchentlichen Durchschnittspreise berechnet (Montag-Freitag). Für den Benzinmarkt wurde die Sorte “Super E5” gewählt, da hier nach wie vor die größten Ottokraftstoffumsätze stattfinden und da der Preisabstand (Tankstelle) zwischen E5 und E10 im Beobachtungszeitraum recht stabil um die drei Cent pro Liter lag. Die Trendaussagen gelten also auch für E10. Die Preise wurden in den folgenden Schaubildern in Eurocent/Liter umgerechnet, so dass der Währungseffekt bereits berücksichtigt wird.
Für die Rohölpreise wurde der ICE Brent Frontmonat gewählt. Eine Kontrollanalyse wurde mit Dated Brent durchgeführt, aber die Resultate waren weitgehend identisch. Für die Abschätzung der Raffineriemargen und Produktpreise wurden die üblichen Spread- und Crack-Indikatoren sowie Produkt- bzw. Tankstellenpreise verwendet, wie sie auch bei Ölpreisagenturen (Platts, Argus etc.) und Nachrichtenagenturen (Bloomberg, Reuters etc.) verwendet werden. Leichte Abweichungen je nach Quelle sind unvermeidlich, da die Preise je nach Erhebungsuhrzeit oder Methode variieren, aber dadurch ändern sich weder der Trend noch das Gesamtbild. Für die Datensätze wurden wo immer möglich zwei oder mehr voneinander unabhängige Quellen verwendet. Das gilt insbesondere für die Tankstellenpreise. Die Daten- und Kontrollquellen sind: Europäische Kommission (DG ENER), Bafa, Bloomberg, Reuters, Platts, EID, Clevertanken.de, MWV, ADAC, Destatis und ICE.
4. Statistische Ergebnisse
Das folgende Schaubild zeigt die Preisentwicklung von Superbenzin E5 (ohne Steuern) und Brent-Rohöl, jeweils in Eurocent je Liter und als wöchentlicher Durchschnittspreis (das gilt auch für alle folgenden Schaubilder). Diese Einheit wird in diesem wie auch in allen folgenden Schaubilder verwendet. Die Superbenzinpreise an der Tankstelle befinden sich seit Dezember in einem steilen Aufwärtstrend.
Das nächste Schaubild zeigt, dass sich der Preisabstand zwischen Superbenzin und Rohöl im Untersuchungszeitraum deutlich vergrößert hat. Die Marge weitete sich von 11,52 Eurocent/Liter Ende November auf 16,25 Eurocent/Liter Anfang März aus, also um 4,73 Eurocent/Liter. Das ist ein Zuwachs um 41 Prozent.
Der Tankstellenpreis für Superbenzin folgte in den letzten Monaten also nicht nur den Rohölpreisen und dem Euro, sondern setzte sich zusätzlich steil nach oben ab. Der Anstieg der Tankstellenpreise für Superbenzin kann nur zu 58 Prozent durch diese Faktoren erklärt werden. Der Rest, also 42 Prozent des Preisanstiegs, entfällt auf die Margenausweitung der Mineralölbranche.
Das folgende Schaubild zeigt die Preisentwicklung von Dieselkraftstoff (ohne Steuern) und wiederum Brent-Rohöl. Der Dieselpreis an der Tankstelle setzte erst Ende Januar zu seinem Höhenflug an und bewegte sich bis dahin seitwärts.
Das nächste Schaubild zeigt die Differenz zwischen dem Tankstellenpreis für Diesel und dem Rohölpreis. Es ist kein klarer Trend erkennbar. Die Dieselmarge, die im Beobachtungszeitraum bedeutend höher liegt als die Marge für Superbenzin, fiel zunächst von Ende November bis Anfang Januar, erholte sich dann aber bis Ende Februar. Sie fiel im Beobachtungszeitraum leicht von 23,19 Eurocent/Liter Ende November auf 22,27 Eurocent/Liter Anfang März.
Das folgende Schaubild zeigt beide Margen noch einmal im Vergleich.
Das folgende Schaubild zeigt den Durchschnitt aus beiden Bruttomargen. Sie fiel zunächst von 17,35 Eurocent/Liter auf knapp unter 15 Eurocent/Liter und stieg ab Jahresbeginn, also in etwa parallel zur Berichterstattung über das Iranembargo, auf den bisherigen Höchststand von 19,26 Eurocent/Liter Anfang März.
Die nächsten Auswertungen suchen Hinweise darauf, in welchem Teil der Kette zwischen der Anlandung des Rohöls (z.B. in Rotterdam oder in Schwedt) und der deutschen Tankstelle die überproportionalen Einnahmen erzielt wurden. Im Rahmen dieser Kurzstudie konnte allerdings keine vollständige Analyse durchgeführt werden. Wir beschränken uns daher auf die im Markt dominierende Rheinschiene, also von den ARA-Häfen (Amsterdam-Rotterdam-Antwerpen) bis ins deutsche Hinterland bzw. zur deutschen Tankstelle.
1. Das folgende Schaubild zeigt zunächst die Situation im Dieselmarkt. Als Indikatoren benutzen wir zum einen das Ergebnis aus “Tankstellenpreis minus Rohöl minus Gasoil Crack” und “Tankstellenpreis minus ULSD FOB Barge”. Im zweiten Schaubild wird die rechnerische Crackmarge “ICE Brent minus ICE Gasoil” abgebildet.
Die Indikatoren geben Hinweise darauf, ob die Margenausweitung schon in der Raffinerie oder erst danach stattgefunden hat. Da die tatsächlichen Preise jedoch von diesen Indikatoren etwas abweichen können, je nach geografischer Bezugsrichtung variieren und in manchen Fällen intransparent bleiben, kann diese Auswertung nur Hinweise geben, aber keine exakten Daten über die tatsächlichen Margen liefern.
Die Indikatoren im ersten Schaubild zeigen sehr ähnliche Verläufe. Die große Korrelation zur Bruttomarge (Dieselpreis an Tankstelle minus Rohölpreis) legt den Schluss nahe, dass die Margenschwankungen nach der Raffinerie entstanden sind, also in der Teilkette “Binnenschiff, Nahtransport, Händler, Tankstelle”. Insbesondere im Februar konnten hier die Margen deutlich expandieren. Das zweite Schaubild und Fachpublikationen legen die Vermutung nahe, dass dies auch auf Kosten der Raffinerien geschah, die im Februar fallende Dieselmargen verzeichneten.
Die Probleme in der Binnenschiffahrt durch vereiste Kanäle und Flüsse haben hier eine Rolle gespielt, können aber nur einen Teil des Geschehens erklären. Trotz ähnlicher Routenhaben sich die Diesel- und Benzinmargen unterschiedlich entwickelt. Bei Superbenzin fand die Margenausweitung auch zu Zeiten statt, in denen der Transport nicht behindert war. Die Rheinbinnenschifffrachten verdoppelten sich in den eisigen Februartagen, was sich aber auf den Liter gerechnet nur in einem vorübergehenden durchnittlichen Aufpreis von ca. 0,5 Eurocent/Liter bemerkbar machte.
2. Die Analyse im Bereich Superbenzin liefert eindeutigere Hinweise. Die rechnerische Raffineriemarge expandierte im gesamten Beobachtungszeitraum um insgesamt etwa 5 Eurocent/Liter, wie das folgende Schaubild zeigt. Das deckt sich mit der oben dargestellten Ausweitung der Marge zwischen Rohöl und Tankstellenpreis für Superbenzin. Nach Branchenberichten war die Margenausweitung in süddeutschen Raffinerien besonders stark. Hier könnte auch der Produktionsausfall in den Raffinerien der insolventen Petroplus eine Rolle gespielt haben sowie Versuche anderer Raffineriebetreiber (fast alle Raffinerien sind in der Hand der großen Mineralölkonzernen) durch Produktionskürzungen das Angebot zu verringern. Die relative Verknappung könnte dann zur Margenausweitung genutzt worden sein.
Die steigenden Raffineriemargen in der Benzinherstellung könnten also die überproportional steigenden Tankstellenpreise für Superbenzin erklären. Diese Vermutung wird im zweiten Schaubild durch den Spread zwischen Tankstelle und Eurobob Oxy (also verkaufsgerecht gemischtem Benzin für ein Binnenschiff in der Region Rotterdam) gestützt. Hier wird das Margengeschehen nach der Raffinerie abgebildet. Die Seitwärtsbewegung deutet ebenfalls darauf hin, dass die Margenausweitung bereits im Raffineriebereich stattfand.
ENDE